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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Brust gedrückt und angefangen zu zittern.
    Er und Kelly hatten Madeleine ins Schlafzimmer geführt und die Tür geschlossen. Während nebenan die Party weitertobte, erzählte sie ihnen, was geschehen war. Später, als sie sich ein bisschen beruhigt hatte, rief sie ihre Eltern an. Zusammen entschieden sie, dass es vorläufig das Beste für Madeleine wäre, mit einem Mietwagen nach Prettybrook zurückzufahren. Da sie nicht allein sein wollte, bot Mitchell ihr an, sie zu begleiten.
    Seitdem wohnte er bei den Hannas, schon seit fast einem Monat. Sie hatten ihn in demselben Zimmer auf dem Dachboden untergebracht, wo er während der Thanksgiving-Ferien im zweiten Studienjahr übernachtet hatte. Das Zimmer hatte eine Klimaanlage, aber Mitchell – ganz Dritte Welt – ließ die Fenster nachts lieber offen. Er roch gern die Kiefern draußen und mochte es, wenn ihn morgens die Vögel weckten. Er stand früh auf, vor allen anderen im Haus, und machte lange Spaziergänge, bevor er zurückkam, um gegen neun mit Madeleine zu frühstücken.
    Auf einem dieser Spaziergänge entdeckte Mitchell das Meeting House der Quäker. Er war auf dem Schlachtfeld stehen geblieben, um neben dem einzigen Baum, der dort überdauert hatte, das historische Schild zu lesen. Auf der Hälfte des Textes erfuhr er, dass die «Freiheitseiche», an diedas Schild erinnerte, schon vor Jahren an Mehltau eingegangen war und es sich bei dem nunmehr dort stehenden Baum um einen bloßen Ersatz handelte, eine gegen Insektenbefall widerstandsfähigere Sorte, aber weniger schön und groß. Was eine ganz eigene Lektion in Geschichte war. Es galt für so viele amerikanische Dinge. Er ging weiter und folgte schließlich der Schotterstraße zum baumreichen Parkplatz des Quäkergeländes.
    Mehrere benzinsparende Autos – zwei Honda Civic, zwei VW Golf und ein Ford Fiesta – waren an der Friedhofsmauer geparkt. Außer dem ursprünglichen Meeting House, das am Wald stand, gab es auf dem Anwesen einen verwahrlosten Spielplatz und ein langes mehrflügeliges Gebäude mit Aluminiumfassade und einem Bitumendach, in dem die Vorschule, das Büro und Empfangsräume untergebracht waren. Die Aufkleber an den Autos zeigten den Planeten Erde mit dem Slogan RETTE DEINE MUTTER oder sagten einfach PEACE. Auch unter den Quäkern in Prettybrook waren etliche Müsli essende Sandalenträger, doch als Mitchell sie im Lauf des Sommers besser kennenlernte, erkannte er, dass das Klischee darüber hinaus nicht passte. Da waren ältere Quäker, zum Beispiel die Pettengills, förmlich in ihrem Verhalten und schlicht gekleidet. Da war ein Mann mit grauem Bart und Hosenträgern, der Burl Ives ähnelte. Joe Yamamoto, ein Professor für Chemietechnik von der Rutgers University und seine Frau June waren treue Besucher des Elf-Uhr-Meetings. Claire Ruth, eine Bankdirektorin aus dem Ort, hatte Quäkerschulen besucht; ihre Tochter Nell arbeitete in Philadelphia mit behinderten Kindern. Bob und Eustacia Tavern waren im Ruhestand, Bob, ein Amateurastronom, Eustacia, eine ehemalige Grundschullehrerin, die jetzt hitzige Briefe über den Abfluss von Pestiziden in das Wassersystem derDelaware-Region an den
Prettybrook Packet
und den
Trentonian
schrieb. Gewöhnlich kamen auch ein paar Besucher, amerikanische Buddhisten, die in der Stadt auf einem Kongress waren, oder ein Student der Theologie.
    Sogar Voltaire hatte die Quäker gebilligt. Goethe zählte sich zu ihren Bewunderern. Emerson sagte: «Ich bin mehr Quäker als sonst etwas. Ich glaube an die ruhige, leise Stimme.» In der letzten Bankreihe sitzend, versuchte Mitchell, es ihnen gleichzutun. Aber es war schwierig. Sein Kopf war zu beherrscht von Gedanken und Tagträumen. Der Grund, warum er Prettybrook noch nicht verlassen hatte, war, dass Madeleine es nicht wollte. Sie sagte, es gehe ihr besser, wenn er da sei. Sie blickte zu ihm hoch, runzelte bezaubernd die Augenbrauen und sagte: «Geh nicht. Du musst mich vor meinen Eltern retten.» Sie verbrachten beinahe jede Minute jedes einzelnen Tages miteinander. Sie saßen lesend auf der Veranda oder gingen auf einen Kaffee oder ein Eis in die Stadt. Jetzt, wo Bankhead weg war und Mitchell zumindest physisch dessen Platz einnahm, flackerte seine chronische Leichtgläubigkeit wieder auf. In der Stille der Quäker-Meetings fragte er sich zum Beispiel, ob Madeleines Heirat mit Bankhead Teil des Plans sein könnte, eines komplexeren Plans, als er es ursprünglich vorhergesehen hatte. Womöglich war er genau zur
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