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Die lieben Patienten!

Die lieben Patienten!

Titel: Die lieben Patienten!
Autoren: Robert Tibber
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kleinen Sauerstoffzylinder heraufzuholen, den ich für solche Fälle immer in Bereitschaft hielt. Als er schon an der Tür war, rief ich ihm noch nach: »Sie sollten die Kinder lieber zu einer Nachbarin bringen.«
    Er sah mich forschend an, da ich noch nie zuvor einen solchen Vorschlag gemacht hatte, und was er in meinem Gesicht las, ver-anlaßte ihn, an jeder Hand ein Kind zu nehmen, sich das dritte unter den Arm zu klemmen und aus der Tür zu eilen.
    Als er zurückkam, ein großer, unbeholfener, massiger Mann, der den schweren Zylinder im Arm trug, als sei es ein Kinderluftballon, lag Mrs. MacConnal, bereits zu schwach, um hochzusitzen und ihre Brust zu erleichtern, flach auf dem Bett und machte ihre letzten, qualvollen Atemzüge.
    Ohne die Kinder war es still im Zimmer, und das Röcheln, obwohl leiser als bisher, schien alle Ecken zu füllen. Der Sauerstoff konnte ihr nicht mehr helfen, nichts und niemand konnte sie mehr retten. Der Atem, wie ein Uhrwerk, für das es keinen Aufzugschlüssel gab, wurde schwächer und schwächer und starb schließlich dahin. Durch das ungewohnte Schweigen wurden MacConnal und ich wieder aneinander erinnert. Er blickte mich an, während ich mich über das Stethoskop beugte, und erhielt die Antwort, als ich es langsam zusammenlegte und in die Tasche zurücksteckte.
    Nie hätte ich gedacht, daß einmal die Zeit kommen würde, wo ich für ein betrunkenes, faules, unnützes Individuum wie MacConnal Mitleid empfinden würde; aber als er zur Tür des Schlafzimmers schlich, sah ich Tränen in seinen Augen.
    »Wohin gehen Sie?« fragte ich, aber ein Blick auf meine Uhr gab mir die Antwort. Es war fünf Minuten, bevor die Kneipen öffneten.
    Ich besprach einiges mit den Nachbarsleuten, da mit MacConnal sicherlich bis zum Morgen nicht zu rechnen sein würde, und machte mich auf den Heimweg zur Abendsprechstunde.
    Ich haßte es, Patienten zu verlieren, und mit Reverend Barker hatte ich in den letzten Monaten schon zwei Tote. Nach einem unergründlichen Gesetz kamen aber in einer Arztpraxis immer drei Fälle dicht hintereinander. Ich hoffte, daß sich diesmal die unheimliche Regel nicht bestätigen würde, aber obwohl ich mich mit aller Gewalt auf den Gedanken zu konzentrieren versuchte, wer nun wohl für die armen kleinen MacConnals sorgen würde, und nicht an den Tod denken wollte, kam ich zu Hause mit einem schrecklichen Gefühl der Vorahnung an.
    Ebenso wie die Vorfälle der Praxis oft die häuslichen Ange-gelegenheiten aus meinem Kopf vertrieben, konnte ein Patient mich für den Augenblick alle Sorgen, die einen vorhergehenden Fall betrafen, vergessen lassen.
    Meine erste Patientin in der Abendsprechstunde war Mrs. Row-bottom, und ich hatte das Gefühl, daß sie mich vermöbeln wollte.
    Ich hatte nichts weiter getan, als mich an meinen Tisch gesetzt und den Summer gedrückt, als die Tür zum Wartezimmer wie von einem Tornado aufgerissen wurde und Mrs. Rowbottom wie ein Ritter in voller Montur auf mich zubrauste, ihren Schirm wie ein Schwert erhoben.
    Vorsichtigerweise erhob ich mich; der Schirm hatte eine gefährlich aussehende Spitze.
    »Meine liebe Mrs. Rowbottom«, sagte ich und konnte die Schirmspitze gerade noch festhalten.
    »Ich bin nicht Ihre >liebe Mrs. Rowbottom    »Ich bin gekommen, um Ihnen ganz genau zu sagen, was ich von Ihnen halte...« schrie Mrs. Rowbottom. Ich ließ den Schirm fahren. »Falls es Ihnen nichts ausmacht, will ich nun erst die Wartezimmertür schließen.«
    »Was mich anbetrifft«, sagte Mrs. Rowbottom, nachdem ich mich versichert hatte, daß die schalldichte Tür fest geschlossen war, »je mehr Leute hören, was ich zu sagen habe, um so besser. Warum sollen sie nicht alle wissen, was für ein unfähiger, gemeiner...«
    Ich zog mich wieder in die Deckung hinter meinen Schreibtisch zurück und hob abwehrend meine Hand gegen die Dame, die vom Scheitel bis zur Sohle vor Entrüstung bebte.
    »Bitte, Mrs. Rowbottom, setzen Sie sich doch und lassen Sie mich in Ruhe hören, was Sie zu sagen haben.«
    Zu meiner Erleichterung senkte sie ihren Schirm und ließ sich auf der Kante des Stuhles nieder.
    Plötzlich fiel es mir ein. Mrs. Rowbottom hatte Faraday aufsuchen sollen. Was konnte er nur um Himmels willen gemacht haben, daß sie sich so aufregte?
    »Ich nehme an«, sagte ich, »Sie kommen gerade von
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