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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich
Autoren: Horst Biernath
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zum Telefon und läutete Thomas Steffen an.
    »Hallo, lieber Steffen! Eine Frage: Verstehen Sie mit einem Paddelboot umzugehen?«
    »Selbstvers-tändlich!« antwortete sein Sozius, den diese merkwürdige Frage abends um neun Uhr zwanzig nicht wenig überraschte. »Wir Hanseaten werden doch sozusagen mit der Ruderpinne in der Hand geboren.«
    »Weshalb sagten Sie das nicht gleich, als ich Sie neulich fragte, ob Sie einen Sport betreiben?« zischte Herr Keyser ins Telefon und horchte dabei ängstlich ins Nebenzimmer, wo Marion jeden Augenblick erscheinen konnte. »Weil ich dachte, verehrter Herr Keyser, daß Paddeln kein Sport, sondern ein Vergnügen sei.«
    »Sport oder Vergnügen — jedenfalls gebe ich Ihnen jetzt eine Chance in die Hand, lieber junger Freund. Also passen Sie gut auf! Meine Tochter hat mir vor einer halben Stunde den Vorschlag gemacht, mit ihr eine vierzehntägige Faltbootfahrt zu unternehmen. Ihr Entschluß scheint festzustehen. Und wenn nicht anders, dann kann ich sie ja durch ein bißchen Widerstand so lange reizen, daß die Geschichte todsicher zustande kommt. Glauben Sie mir, mein lieber Herr Steffen, mir persönlich wären vier Wochen Tölz oder Mergentheim angenehmer und wahrscheinlich auch bekömmlicher als dieser entsetzliche Einfall von Marion, mich mit Bewegung, frischer Luft und ihren zweifelhaften Kochkünsten zu traktieren. Aber wenn Sie vielleicht mitmachen wollten? Ihretwegen — nur Ihretwegen — wäre ich zu jedem Opfer bereit. Sie verstehen mich, wie?«
    Und ob Thomas Steffen verstand!
    »Herr Keyser!« rief er nur, aber ein Geräusch im Telefon hätte jedem scharfsinnigen Hörer verraten, daß Herr Steffen auf die Knie gesunken war, um dem Schicksal zu danken.
    »Also was ist? Soll ich mich für Sie opfern?«
    »Ja! Ja! Ja! Ich bitte Sie herzlich darum!«
    »Gut, ich tu’s! Eine Frage noch: Spielen Sie Skat?«
    »Nein, leider nicht.«
    »Was? Keinen Skat? Aber gewiß Sechsundsechzig?«
    »Ich bin untröstlich, leider auch nicht Sechsundsechzig.«
    »Zum Teufel, Sie werden doch irgendein Spiel kennen!«
    »Es schmerzt mich unsagbar, Ihnen gestehen zu müssen, daß ich noch nie in meinem Leben Karten gespielt habe.«
    »Entsetzlich!« murmelte Direktor Keyser und hängte den Hörer mit verzagtem Gesicht ein. »Vierzehn Tage lang nichts als Natur, Luft, Wasser — und Marions Küche!«
    Vielleicht wäre ihm der Gedanke an die bevorstehende Reise leichter geworden, wenn er gewußt hätte, daß Thomas Steffen aus Dankbarkeit noch am gleichen Abend telefonisch eine Anzeige in der Zeitung aufgab, in der er >einen tüchtigen, energischen Lehrer für einen Schnellkursus in Skat und Sechsundsechzig< suchte. Denn viel Zeit war nicht mehr zu verlieren.
    Direktor Keyser seinerseits verstand es, Marion mit viel List und Tücke zur Mitnahme Steffens auf die fatale Reise zu überreden. Er tat, als habe Steffen bei Wettbewerben auf Elbe und Alster silberne Pokale gewonnen, und rühmte auch den verträglichen Charakter seines Partners.
    Schließlich hatte Marion mit der Bemerkung, man werde Steffen fraglos zum Holzsammeln und Feueranblasen gebrauchen können, ihre Einwilligung gegeben. Und zehn Tage später paddelte Steffen schon in Marions Kielwasser.

    Ja, so war es also gekommen, daß diese drei Leutchen nun zwischen Donauwörth und Ingolstadt am lustigen Donauufer beim Kaffee beisammensaßen.
    Herr Keyser betupfte seine von dem Bremsenstich bereits stark geschwollene Hand mit einem in Salmiakgeist getauchten Wattebäuschchen. Gott sei Dank, für die Mitnahme einer Reiseapotheke hatte er sich eingesetzt. Marion scheuerte am Fluß das Geschirr mit feinem Sand aus, und Thomas Steffen visierte über eine Baumspitze das aufziehende Gewölk. Die Strahlen der Nachmittagssonne fielen wie glühende Pfeile herab, und die Luft war trotz der Wassernähe unangenehm schwül und drückend.
    »Es kommt herauf!« unterbrach Herr Steffen die Stille. Herr Keyser sah aus, als horche er in sich hinein, ob er schon eine unangenehme Wirkung des soeben genossenen Kaffees verspüre. »Es kommt todsicher herauf und zieht gerade auf uns zu!«
    »Seien Sie doch um Himmels willen ruhig!« flüsterte der Direktor mit einem scheuen Blick auf seine Tochter Marion. »Das wünscht sie sich doch seit Tagen! Ein richtiges Gewitter am Fluß! Verstehen Sie denn nicht? Ein Abenteuer...«
    »Ich vers-tehe nicht, was bei einem Gewitter abenteuerlich sein soll«, murmelte Steffen. »Nicht etwa, daß ich mich vor dem Donner fürchte,
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