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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong
Autoren: John Burdett
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deiner Karriere schaden können. Du hast Mumm bewiesen.«
    Chan zuckte mit den Achseln. »Die haben mir das nicht angekreidet. Die Briten sind nicht nachtragend.«
    Der alte Mann wandte bedächtig den Kopf, als denke er über das nach, was Chan gerade gesagt hatte. »Das stimmt. Man muß sie nicht unbedingt mögen, aber sie haben definitive Qualitäten. Wenn die Dritte Welt auf der emotionalen Entwicklungsstufe eines Dreizehnjährigen stehengeblieben wäre, hätte das britische Empire sich tausend Jahre halten können.«
    »Du hast wieder etwas geschrieben?«
    Er nickte heftig. »Ich habe einen neuen Verleger in San Francisco gefunden. Die Sachen von Outrage verkaufen sich nicht mehr so gut wie in den Sechzigern, aber der Mann meint, die Geschichte mit China ließe sich heute besser vermarkten als früher.« Er hielt die Hände fragend in die Luft. »Ich jedenfalls tue, was ich kann.«
    Chan lächelte trotz seiner düsteren Vorahnungen. »Wenn sie dich wieder abschieben wollen, werden sie einem Polizisten wie mir nicht mehr zuhören, der behauptet, daß du ein ehrlicher Bürger bist und deine Mutter immer geliebt hast. Die finden einen Weg. Die Briten spielen nur bis zu einem gewissen Punkt mit – wenn die Demokratie sich zu verselbständigen droht, werden die Entscheidungen hinter verschlossenen Türen getroffen.«
    Der alte Mann gab ein verächtliches Geräusch von sich. »Wäre gar nicht schlecht, wenn sie mich wegen eines Buches abschieben. Stell dir mal die Publicity vor. Das könnte dazu führen, daß tatsächlich jemand das Buch kauft.«
    Chan nickte. »Jedenfalls kann niemand sagen, daß du schnell die Flinte ins Korn wirfst.«
    Der alte Mann runzelte die Stirn. »Ich hab’ dir schon mal gesagt, warum. Die Seele kann man einem Menschen nur einmal stehlen. Beim zweitenmal kämpft er bis zum Tod.«
    »Ja, ich erinnere mich.«
    »Und das hat dir angst gemacht?«
    »Nein.«
    »Was dann? Ich weiß gern Bescheid über solche Dinge, das hilft mir, mich besser zu verkaufen.«
    »Die Fotos. Fotos machen mehr angst als Worte.«
    Der alte Mann sah Chan an. »Ich glaube nicht, daß ich dir wirklich einen Schrecken eingejagt habe. Ich kenne alle Nuancen der Angst. Ich kenne mich aus mit der Angst, das kannst du mir glauben. Du hast keine Angst gehabt. Du warst fassungslos, aber du hast keine Angst gehabt.«
    Chan zuckte mit den Achseln. »Vielleicht. Vielleicht müßte ich sie mir noch einmal anschauen. Hast du sie noch?«
    »Sogar noch mehr. Ich bekomme jetzt fast jeden Monat solche Fotos.« Chan erinnerte sich wieder an die merkwürdige Art, wie der alte Mann den Blick über ihn gleiten ließ – wie ein Radarstrahl. Chan wußte, daß das eine Überlebenstechnik von langjährigen Gefangenen war. »War irgendwas Besonderes heute?« Der alte Mann wandte den Blick ab, als er das sagte.
    Chan zuckte mit den Achseln. »Ach, es ist nur ein Fall, an dem ich grade arbeite.«
    »Und?«
    »Er könnte mit China zu tun haben.«
    »Ah! Also hat der Atem des Drachens dich getroffen. Und jetzt möchtest du mehr über den Drachen erfahren?«
    »Vielleicht helfen mir die Fotos dabei, mir über meine Gefühle klarzuwerden. Ich weiß es nicht.«
    Der alte Mann erhob sich mühevoll. »Du bist ein guter Junge. Vielleicht ein bißchen langsam, aber gut. Ich zeige dir die Fotos und noch ein paar neue dazu, allerdings unter einer Bedingung. Nächste Woche besucht mich ein potentielles neues Mitglied mit seiner Frau. Ich hätte gern, daß du dabei wärst.«
    »Warum?«
    »Stell dich nicht dumm. Ich bin nur ein exzentrischer alter Kauz mit schlechtem Kantonesisch und amerikanischem Akzent. Und nach den Maßstäben dieser Stadt bin ich außerdem ein Weltklasseverlierer. Aber wenn ein Chief Inspector der Polizei mit mir im selben Zimmer sitzt, könnte ich fast respektabel aussehen.«
    Chan sah dem alten Mann in die Augen. »Du bist skrupellos.«
    »Du meinst, ich benutze dich? Natürlich. Allerdings nicht, weil ich mir für mich selbst etwas erhoffe. Kommst du?«
    Chan schwieg.
    Wieder lächelte der alte Mann. »Du bist ein richtiger altmodischer Chinese, auch wenn irisches Blut in deinen Adern fließt. Du stellst dein Licht unter den Scheffel. Ich würde wetten, ich bin der einzige hier in der Stadt, der weiß, daß du das Herz eines Heiligen hast.«
    »Du hast recht, du mußt dich wirklich besser verkaufen. Ich als Heiliger – das glaubt dir doch keiner.«
    Er folgte dem alten Mann in ein winziges Schlafzimmer gleich neben dem Buchladen. Der
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