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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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Mireille Matthieu mit stark herausgewachsener Kastanienfarbe. Ihre Hände mit langen, schlanken Fingern hatte sie gespreizt, als wolle sie sie auf eine Klaviertastatur legen. Aber sie legte die drei Finger auf einen Stapel Papier. Er bestand aus dem »Goldenen Blatt«, dem Pfarrbrief, der »Frau im Spiegel«, dem Gemeindebrief, der Seniorenzeitung und dem Speiseplan für die nächste Woche.
    Wie ist Ihr Name?, fragte Frau Wissmar ohne aufzusehen.
    Lotta. Lotta Heinz. Ich bin neu hier.
    Einen Augenblick, bitte.
    Frau Wissmar trennte den Gemeindebrief und den Speiseplan von den Frauenzeitschriften, legte sie auf den Rundbrief des Seniorenzentrums und sortierte diesen dann nach vorne. – So, sagte sie. Nahm den Stapel auf und schien ihn durchzuzählen. Stieß ihn noch mal auf die Tischplatte auf, damit er bündig wurde, teilte ihn noch einmal und legte einen der Papierstöße in eine Ecke.
    So, sagte sie und wirkte sehr befriedigt. – Ist das auch erledigt.
    Dann drehte sie sich um.
    Ja, Frau Schmidt. So. Jetzt habe ich Zeit für Sie. Was kann ich für Sie tun?
    Lotta fing an zu stottern.
    Ich habe Ihnen Kaffee und Kuchen gebracht.
    So. Aha. Wie?
    Frau Wissmar schien aus dem Konzept gebracht. Dann fasste sie sich.
    Ja ja. Gut. Dann. Stellen Sie es dorthin.
    Sie konnte kaum den Kopf heben und zeigte mit ihren schlanken, grazilen Fingern auf den Nachttisch, drehte sich dann im Rollstuhl zu Lotta hin. Ihre Füße standen X-beinig und dürr zueinander gedreht in einer Art blass-türkisen Mokassins mit goldener Schnalle. Schuhe aus den 70er Jahren.
    Gut, sagte Lotta. Stellte alles auf den ausgezogenen Nachttisch und wünschte einen guten Appetit. Aber Frau Wissmar griff schon wieder nach einem neuen Stoß Papier.
    Und fragen Sie doch noch mal nach, wo meine Schreibmaschine bleibt. Ich hasse es, ohne Schreibmaschine zu arbeiten. Und ansonsten soll mich bitte niemand stören. Ich weiß gar nicht, wie ich das alles schaffen soll.

Der schöne Fredderik  , der hatte es ihm angetan. Der Fredderik. Er hatte ihm den Mund zerbissen, die Nacht geraubt, die Haut gefetzt, der Fredderik. Der Fredderik würde dafür büßen müssen mit noch mehr Bissen und noch mehr Schrunden, die Leidenschaft, die Triebe, die Hiebe, heute Nacht ging es weiter. Wenn er dann noch konnte. Ivy musste sich an die Wand lehnen. Nicht Mann, nicht Frau. Ivy konnte sich einfach nicht entscheiden. War auch egal. Jetzt noch sieben Leute waschen und ins Bett bringen, dazu die dicke Berta, das schaffte nicht mal er, denn Berta wog zwei Zentner und brauchte einen Lifta. Ivy rieb sich die Stirn. Diese Bewegung setzte drei Muskeln in Bewegung, den Trapezius, die hinteren Deltamuskeln und die Romboiden, Ivy kannte nämlich jeden seiner Muskeln ganz genau. Er sorgte für sie, jeden Tag, und das ließ er sich auch was kosten. Nicht umsonst hatte er heute Nacht Fredderik erobern und diese Leidenschaft in ihm entfachen können. Ach Fredderick, der schöne Fredderik, wie war seine Haut so samtweich und welch einen Griff hatte er, der Fredderick, wenn er ihn an die Wand presste, das hatte sich gelohnt, die Nacht mit Fredderick. Ivy hatte Kohldampf, er musste sich gleich ein halbes Hähnchen holen, sonst wurde er wahnsinnig. Eigentlich machte er eine Diät mit Quark und Himbeeren, ein spezielles musclefood, das hatte er aus der Zeitschrift »Men’s health«.
    Wie der junge Marlon Brando, sagten die Leute. Das gefiel ihm. Auch wenn er keine Brando-Filme kannte, so hatte er sich doch einen Gang zugelegt, von dem er sich vorstellte, dass Brando so gegangen sei vor wer weiß wie viel Jahren. Wovon die Leute immer erzählten. Und Marlon, der lange, lange vor seiner Zeit gewesen war. Heute hatte Ivy etwas Mühe, sich aufrecht zu halten. Ihm zitterten die Knie. Er brauchte einen Kaffee, sonst konnte er die dicke Berta unmöglich ins Bett bringen. Hinten stand Lotta, die neue Stationshilfe. Sie musste doch noch irgendwo einen Kaffee haben. Genau, da stand der Wagen mit dem Kanister und Ivy ging zu ihr, nahm eine Tasse und goss sie voll.
    Ey du.
    Hallo.
    Oh, du bist bestimmt Lotta, die neue Stationshilfe.
    So isses.
    Ich bin Ivy. Mache hier den Spätdienst. Und du, wie gefällt es dir?
    Och, ich bin eigentlich ganz froh.
    Lotta plapperte auf einmal drauflos.
    Ich bin hier ganz froh, dass ich das gefunden habe. Weißt du, ich bin in England gewesen wegen so einem Kerl und das ist nicht gut gegangen. Industriearbeiter in Manchester. Sah gut aus, aber war doch nix. Und da habe ich mir
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