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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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Dienstplan. Die bescheuerte Pflegedienstleitung. Dieser mörderische Stress hier. Blödes Pflaster. Dämliche neue Windeln. Beschissener Pflegewagen. Beschissene, zu kleine Gummihandschuhe, die ihm ständig, ständig zerissen. Beschissen. Beschissener Dienst.

Frau Wissmar   schien sich noch mehr vorbeugen zu müssen, um besser durch die braun verfärbten Ponyfransen schauen zu können. Mireille Matthieu, viele Jahre später. Ihre Akten waren sortiert. Der Stapel erledigt, Bild der Frau, Pfarrbrief und Speiseplan lagen bündig aufeinander.
    Ich weiß gar nicht mehr, was ich tun soll. Was mache ich denn mal?
    Macke die Fernsehe an, sagte Gianna. Sie zog sich das Haargummi aus den grauen Haaren und zwieselte sich ein neues Zöpfchen auf dem Hinterkopf zurecht, ging dann zum Fernseher und drückte auf den Kopf.
    Gucke da, Guck, is Amtsgericht. Kannst du gucken Barbara Salesch!
    Wie?
    Frau Wissmar drehte mühsam mit dünnen Händen an ihrem Rollstuhl, hob den Kopf und schüttelte ihn.
    Die?? Ach Gott, nein! Die kann ich nicht sehen!
    Was los? Magst du nicht de Barbara Salesch! Iste berühmte Richter in de Fernsehen!
    Ach, mit der bin ich doch total verfeindet! Machen Sie das bitte aus!
    Gianna machte den Fernseher wieder aus. – Was los? Sie sinde beese mit die Frau Salesch?
    Ja, aber wie! Und es ärgert mich … es ärgert mich … dass ich sie immer wieder auf dem Bildschirm sehen muss!
    Grämlich fuhr Frau Wissmar wieder zum Fenster. Gianna verstand nicht.
    Wieso Sie sind beese mit die Barbara Salesch?
    Ach, die schuldet mir doch noch dreitausend Mark! Betrogen hat sie mich! Ich habe noch viel Geld von ihr zu kriegen.
    Gianna räumte das Abendbrot auf das Tablett.
    Und was wolle macke?
    Wissen Sie, ich habe mir überlegt, ich werde ihr einen Brief schreiben! Und da werde ich sie schärfstens auf den Sachverhalt hinweisen. Und dann wollen wir einmal sehen, wie sie reagiert.
    Frau Wissmar sah Gianna verschmitzt an. – Was meinen Sie?
    Das gutt! Sehr gutt. Schreibe Brief!
    Frau Wissmar hob den langen, schmalen Finger.
    Wissen Sie, und dann, wenn sie reagiert hat, … dann werde ich Sie sofort in Kenntnis setzen. Ich geben Ihnen sofort Bescheid. Ja. So. Das wär’s erst mal. Sie dürfen jetzt gehen.
    Oh Madonna, dann ich geh. Später ich komm in Bett bringe.
    Gianna ging davon und Frau Wissmar schaute ihr verwundert hinterher. Wo war nur ihre Schreibmaschine? Wo nur?

Ein hohes Haus  , ein Schindeldach, und so viele Fenster. So viele Fenster! Unter jedem Dach ein Ach, unter diesem Dach so viele Ach, und aus jedem Fenster ein Weh noch dazu.
    Valerija Webknecht, geborene Schiwrin, betrachtete widerwillig die Front und das Eingangsschild: »Haus Abendrot«. Seniorenzentrum.
    Valerija aber las: »Hotel Hölle – Guten Tag«. Sie las noch mehr: »Seniorenanlage: Zum letzten Geschäft. Seelenabschussrampe Speedway. Pension Krückengeschwader. Klassisches und fortgeschrittenes Mumienschieben«. Und sie las auch: »Welcome to the Hotel California: You can check out any time you want – but you will never leave«.
    Valerija fürchtete sich. Sie fürchtete sich vor dem Haus. Sie fürchtete sich vor dem rothaarigen Gnom, der ihr Vater war. Vor allem aber fürchtete sie sich vor Schwester Nadjeschda. Und das war der einzige Grund, warum sie jetzt tief Luft holte und die schwere Glastür aufdrückte. Gelb gestrichen. Alles gelb. Haus Abendrot. Irreführung der Angehörigen. Versuch einer Hoffnung. Haus Scheinheilig. Ein Haus wie ein Kindergarten, in den gleichen Farben. Etwas sanfter. Weiße Gardinchen, Basteleien an den Wänden, Vögelchen, Blümchen, Herbstblumengestecke. Die Alten wurden wie Kinder, der Kreis schloss sich.
    Immer schwerer wurden Valerijas Schritte. Treppe hoch. Erster Stock. Zweiter Stock. Dritter Stock. Vielleicht konnte sie Nadjeschda vermeiden. Schnell das Zimmer suchen, hineingehen, eine Flasche Rotbäckchen hinstellen und wieder verschwinden. Denn wenn Nadjeschda sie sah, würde sie sagen: Warum Sie sind nicht gekommen! Vater ganze Zeit alleine!
    Nun, es war tatsächlich ihre Pflicht, hier aufzutauchen, und aus irgendeinem Grunde hatte sie den Vater auch gemocht. Mehr als die anderen, er hatte manchmal gespielt mit ihr, mit Zündholzschachteln, sie erinnerte sich. Im dritten Stock herrschte ein eigentümliches lichtes Rosé vor. Am Stationszimmer klebten Engelchen. Ausgerechnet. Die großen Engel, die hier herumliefen, schienen reichlich ausgelutscht. Wenn man so sagen durfte. Dann kam allerdings ein
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