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Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt

Titel: Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt
Autoren: Anthony Mark
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Schriftsteller von heute. Sie geben Unrat von sich, der direkt aus der Gosse kommt, und nennen es dann Literatur. Dafür brauche ich Reader’s Digest nicht. Das kann ich allein auf ein Wort herunterkürzen.
    Sie sagte nicht, welches Wort das genau sein sollte, aber Grace ahnte, dass Mr. Murtaugh es wissen würde.
    Auf der anderen Seite der Tür ertönte kein Laut. Mattie beugte sich herunter; ihr Atem traf Graces Gesicht heiß und säuerlich. Sie griff nach Graces Brust, fand ihre Brustwarze und kniff hinein.
    »Du kriegst hübsche kleine Titten, Gracie. Kneifen sie rein, bis du schreist? Machen sie das mit dir?« Sie kniff härter zu.
    Grace biss die Zähne zusammen, zwang sich dazu, nicht aufzuschreien. Aber nicht wegen Broud. Die war ihr egal, das Geblöke der alten Frau konnte ihr nichts antun. Verglichen mit den anderen Dingen war das nichts. Aber sie wollte Mattie einfach nicht nachgeben.
    Das Mädchen schnaubte und ließ sie los. Dann sah Grace im Zwielicht, wie das andere Mädchen eine verstohlene Bewegung machte. Mattie griff nach der eigenen Brust und drückte zu. Sie wiederholte es.
    Grace konnte nicht atmen. Begriff Mattie denn nicht? Sie streckte zitternd die Hand aus und berührte den Arm des anderen Mädchens …
     … und in diesem Augenblick spürte sie es, als wären sie durch eine Stromleitung miteinander verbunden. Der Hass, der Abscheu … das Verlangen. Während der vergangenen zwei Jahre waren sie zu Grace und Lisbeth und Sarah Feynman und Nela Barnes gekommen. Aber niemals zu Mattie.
    Es war, als hätte Grace einen Finger in eine der offen liegenden Steckdosen des Waisenhauses gesteckt. Wie konnte sie das wissen? Wieso wusste sie genau, was Mattie gerade dachte?
    Aber manchmal wusste Grace eben Dinge.
    Mattie schlug Graces Hand zur Seite. Die Verbindung wurde unterbrochen.
    »Miststück!«
    Dieses Wort kannte Grace. Es klang, als würde Mattie weinen, aber das war unmöglich.
    »Du dürre kleine …« Wieder ein Wort, das Grace unbekannt war. »Was hast du mit mir gemacht?«
    »Du willst es«, sagte Grace, und diesmal flüsterte sie, weil Übelkeit ihr den Hals zuschnürte. »Du willst, dass sie zu dir kommen. Aber das macht dich nicht zu was Besonderem, Mattie. Das macht dich zu …«
    Grace fand keine Worte, um es zu erklären. Vielleicht, weil es einen am Ende zu einem Nichts machte. Vielleicht war das die einzige Möglichkeit, um es zu ertragen – völlig und in jeder Hinsicht leer zu sein. Matties Augen funkelten vor Wut und Demütigung. Und Verlangen. Dann ging sie mit einem Laut, der genauso gut ein Knurren wie ein Schluchzen gewesen sein konnte, zu ihrem Bett zurück.
    Grace legte sich wieder hin und starrte in die Dunkelheit. Sie zwang sich dazu, nicht länger nachzudenken. Manchmal hatte sie in der Nacht über die Leute nachgedacht, die eines Tages kommen und sie retten würden – Leute von der Regierung. Aber dann war eines Tages ein Mann gekommen, und seine gelangweilt blickenden Augen waren gerötet gewesen und sein Anzug zerknittert und schmutzig, und Mr. Holiday hatte ihn mit einem breiten Grinsen im Gesicht herumgeführt und entgegenkommenden Kindern übers Haar gestrichen, und der Mann hatte sich auf einem Klemmbrett ein paar Notizen gemacht und war gegangen. Und das Leben kehrte zur Normalität zurück.
    Natürlich hatte Grace schon früh im Leben gelernt, dass das Leben im Heim alles andere als normal war. Normale Kinder lagen nachts nicht wach im Bett und warteten auf das leise Quietschen der Bodendielen und auf Hände, die aus der Dunkelheit zugriffen.
    Allerdings hatten sie in letzter Zeit immer seltener nach ihr verlangt. Vor sechs Monaten hatte sich etwas verändert. Sie wusste, dass es mit dem zu tun hatte, was Mrs. Broud mit gerümpfter Eselsnase als die monatliche Qual bezeichnete. Aber das war nur ein Teil davon.
    Es war ja nicht so, dass sie sich wehrte. Sie kämpfte nicht oder schrie auf, wenn sie zu ihr kamen. Sie schaute ihnen einfach nur zu. Und das schien ihnen nicht zu gefallen. Also schaute sie nur noch genauer hin. Dann, eines Nachts vor ein paar Monaten, war ihr Besucher zurückgewichen, bevor er angefangen hatte. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen – sie trugen immer Masken –, aber seine Hände waren schwielig und hart gewesen. Die Hände eines Arbeiters.
    Hör auf, mich so anzustarren, du kleine Hexe, hatte er geknurrt.
    Wie starre ich denn, Mr. Murtaugh?
    Sie hatte die Worte nicht einmal laut ausgesprochen, trotzdem hatten sich die Augen
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