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Die letzte Flucht

Die letzte Flucht

Titel: Die letzte Flucht
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Menschenjagd. Das hatte er beim Bundeskriminalamt gelernt. Solange er Fahnder war, hatte ihn diese Spezialisierung nicht gestört. Aber jetzt, nachdem er resigniert das BKA verlassen hatte und als privater Ermittler arbeitete, fühlte er sich manchmal wie amputiert.
    Hochgezüchtet wie ein Windhund.
    Etwas fehlte ihm. Er wusste nur nicht, was es war.
    Manchmal wünschte er sich, er hätte Talent zum Malen wie Mario, sein bester Freund. Mario entwarf seine Bilder manchmal in einem Zustand, den er den »kreativen Rausch« nannte. Er konnte dann bis in die frühen Morgenstunden vor der Leinwand stehen, ihm gelangen Kompositionen in Blau, Gelb, Rot, die Dengler faszinierten, ohne dass er genau begründen konnte, warum.
    Er bewunderte Mario, weil er sich so für die Kunst begeistern konnte. Wenn er über Joseph Beuys sprach, einen der größten deutschen Künstler, so viel hatte Dengler gelernt, der soziale Plastiken erstellte, ohne dass Dengler recht begriff, wie diese Plastiken aussahen, dann glühten Marios Augen, er gestikulierte mit den Armen, lief dozierend im Zimmer auf und ab.
    Dengler begeisterte sich für nichts.
    Er beherrschte die Menschenjagd.
    Mehr nicht.
    Manchmal machte ihm das zu schaffen. Aber ihm fiel nichts ein, wofür er sich begeistern konnte.
    Außer für Olga.
    Dass diese Frau sich für ihn entschieden hatte, hielt er immer noch für eine Art Missverständnis ihrerseits. Er hatte keine Ahnung, was sie an ihm anziehend fand. Was hatte er ihr zu bieten? Er, der ein einziges Talent hatte und mehr nicht.
    Irgendwann, da war er sich ganz sicher, würde sie ihren Irrtum bemerken und ihn verlassen. Dann würde die glücklichste Zeit seines Lebens vorbei sein. Er fürchtete sich vor diesem Augenblick, und er wappnete sich täglich dafür.
    Und doch gab es Augenblicke, in denen er sich ihrer Liebe sicher war. Seltene Augenblicke voller Süße. Beide behielten ihre Wohnung und dachten nicht daran, zusammenzuziehen, und doch hatte es sich eingebürgert, dass sie die meisten Nächte in Olgas Bett verbrachten. Warum auch nicht. Ihre Wohnung war etwas größer, meist besser aufgeräumt als seine und lag im gleichen Haus nur ein Stockwerk über seinem Büro und seiner Wohnung.
    Ihr Bett war nicht groß, eigentlich nur für eine Person gedacht, doch für sie beide fand sich reichlich Platz. Olga lag meist auf der linken Seite, Dengler schmiegte sich an ihren Rücken, hatte die rechte Hand um ihre Hüfte, auf ihren Bauch oder ihre Brust gelegt. Manchmal, wenn er sich vorsichtig umdrehen wollte, zog er langsam seine Hand von ihr weg. Dann schnappte sie im Schlaf danach, führte sie an die gewohnte Stelle und ließ sie nicht los. Diese schläfrige Geste liebte er, und wenn er sich deshalb nicht auf die andere Seite legen konnte, sah er ihr beim Schlafen zu, halb betäubt von Müdigkeit und ihrer Schönheit.
    Wenn es ihm nun gelang, sich zu drehen, dann wendete auch sie sich, immer noch fest schlafend, robbte an ihn heran, drückte sich an seinen Rücken und umschlang ihn mit ihren Armen. Diese unbewussten Bewegungen Olgas waren für ihn wie schimmernde Kostbarkeiten, und dass sie ausgerechnet ihm geschenkt wurden, machte ihn glücklich und dankbar. Selbst im Schlaf waren sie miteinander verbunden.
    Trotzdem dachte Dengler, dass er Olga im Grunde nicht verdient hatte und dass er sie eines Tages langweilen würde. Hatte er das Seminar in New York gebucht, um für sie interessanter zu werden? Es ging dort zwar auch um Menschenjagd, um Fahndung, aber auch um Menschenkenntnis und Psychologie. Er hatte gehofft, ihr besser zu gefallen, wenn er davon mehr verstand. Aber für sie, so schrieb sie ihm, waren die drei Wochen ohne ihn eine Qual gewesen. Sie hätte ihn gerne nach New York begleitet. Aber dann hätte er von dem Seminar nicht viel mitbekommen. Deshalb lehnte er ihr Angebot ab, auch wenn es ihm schwerfiel.
    Das Bundeskriminalamt bezahlte den Kurs.
    Die Behörde schuldete ihm noch etwas. Bei seinem letzten Fall hatte er für das BKA gearbeitet. Und wäre fast erschossen worden. Wenn Sie einen Wunsch haben, lassen Sie es mich wissen, hatte der Präsident gesagt. Wir stehen in Ihrer Schuld.
    Dann kam das Angebot, das Seminar in New York zu besuchen.
    Gefühle lesen.
    Herausfinden, ob andere lügen.
    Morgen würde sich zeigen, ob er etwas gelernt hatte.
    Das Summen seines Handys holte ihn aus seinen Gedanken zurück.
    »Martin hier. Georg, du glaubst nicht, was passiert ist.«
    »Mach’s nicht so spannend.«
    »Jemand
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