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Die Letzte Arche

Die Letzte Arche

Titel: Die Letzte Arche
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gehört«, fuhr Kenzie fort. »Nun, da ich wie sie aus Chicago komme, habe ich ihre berufliche Laufbahn seit damals ebenso verfolgt wie die von ihr verfassten Berichte und wissenschaftlichen Beiträge, und ich kann Ihnen sagen, dass jede ihrer damaligen Vorhersagen praktisch hundertprozentig eingetroffen ist, und jede unserer Vorhersagen über die Untätigkeit unserer Regierungen bestürzenderweise auch. Wir haben sie deshalb gebeten, noch einmal zu uns zu sprechen, uns sozusagen eine aktualisierte Fassung ihres Vortrags beim Weltklimarat zu halten. Anschließend möchte ich Ihnen einen Vorschlag zu unserem
weiteren Vorgehen unterbreiten. Dr. Jones.« Und er nahm mit verschränkten Armen und konzentrierter Miene Platz.
    Thandie ließ den Blick durch den Raum schweifen. Sie wirkte abgehärtet und wettergegerbt, wie eine Feldforscherin eben. »Danke. Ich bin Thandie Jones. Meine Spezialgebiete sind Ozeanographie und Klimatologie. Offiziell gehöre ich zur NOAA, der Wetter- und Ozeanographiebehörde der Vereinigten Staaten, die zufällig eine Dienststelle in Boulder, Colorado, hat, also noch oberhalb des steigenden Meeresspiegels. Ich war bei einer der ersten aufsehenerregenden Überschwemmungen dabei, 2016 in London, und habe seitdem noch ein paar der darauf folgenden dramatischen Ereignisse miterlebt – vielfach in historischer Zeit beispiellose hydrologische Katastrophen …«
    Sie sprach von einer weltweiten Gemeinschaft von Klimaforschern und anderen Fachleuten, die die immer schneller aufeinander folgenden Ereignisse beobachteten. Es gab nach wie vor Seminare, nach wie vor so etwas wie die formale Publikation und den Wissenschaftsprozess. Aber in der Regel konnten sie die gewaltigen Erschütterungen nur registrieren und zu erraten versuchen, was als Nächstes geschehen würde.
    »Bezahlt werde ich dafür, Vorhersagemodelle für das Meer und das Klima zu entwickeln und die Regierung in Denver bei ihren Zukunftsplanungen zu unterstützen. Berüchtigt bin ich, wie Sie vermutlich wissen, für meine Spekulationen über die Ursache und den möglichen Ausgang der globalen Flutkatastrophe. «
    Sie wandte sich ihrer rotierenden Kristallkugel zu, der sich drehenden, dreidimensionalen Erde, einer optischen Täuschung, die von herumwirbelnden Bildschirmen, Linsen und Spiegeln sowie mehreren Projektoren erzeugt wurde. Patrick erinnerte sich, dass sie 2018 ein ähnliches Display benutzt hatte, und er
fragte sich, ob es genau dieselbe Apparatur war. Höchstwahrscheinlich. »Dies ist die Erde, wie wir sie vor Beginn der Flut kannten, im Jahr 2012.« Man sah eine wolkenlose Welt; die vertrauten Formen der Kontinente hoben sich braun-grün gegen einen blauen Ozean ab. »Und hier leben wir heute.« Sie drückte auf eine Taste.
    Die Meere schimmerten und stiegen, und das Land schmolz dahin. Das Wasser radierte breite Streifen von China weg, überspülte Nordeuropa bis tief nach Russland hinein und verschlang in Südamerika ein Stück von Amazonien. Patricks Blick wurde von Großbritannien angezogen. Südengland war weitgehend verschwunden, der Rest des Landes hatte sich in einen Archipel von Hochlandgebieten verwandelt.
    In Nordamerika hatte das erbarmungslose Meer Florida ausgelöscht und die Ostküstenstaaten bis nach Maine hinauf sowie die Staaten am Golf von Mexiko bis nach Kentucky im Norden überflutet. Im Westen war der Ozean bis tief in die Täler Kaliforniens hinein vorgedrungen. Großstädte waren im Wasser versunken und aufgegeben worden: New York, Boston, New Orleans, sogar Washington DC. Der Verlust so großer Teile der alten Vereinigten Staaten östlich der Ozarks hatte zu einer massiven Vertreibung der Bevölkerung geführt. Amerika war so furchtbar jung, dachte Patrick. Vor gerade einmal zweihundert Jahren hatten europäische Siedler zum ersten Mal den Kontinent durchquert, wenig später gefolgt von den großen Wanderungsbewegungen nach Westen auf der Suche nach Land und Gold. Nun war eine weitere gewaltige Flucht nach Westen im Gange.
    »Ihnen brauche ich die daraus resultierenden ökonomischen Verwerfungen nicht ausführlich zu schildern, ebenso wenig wie die ungeheure menschliche Tragödie. Erst vor ein paar Monaten
habe ich ein riesiges Flüchtlingslager bei Amarillo in Texas besucht. Aber ich möchte doch betonen, dass all dies die Richtigkeit meiner Modelle illustriert. Als ich 2018 vor dem Weltklimarat gesprochen habe, hatte die Flut im Durchschnitt lediglich eine Höhe von dreizehn Metern über dem alten
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