Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
Fähigkeiten Furcht und Schrecken verbreiten, was er auch häufig tat.
    «KC» stand in roten Buchstaben auf dem Mädchenklo: Kevin Costyn; Karate-Champion; King of the Condoms... oder was einem sonst noch dazu einfiel.

    In der Proctor Memorial School war es früher Sitte gewesen, daß die Schüler aufstanden, wenn ein Lehrer das Klassenzimmer betrat, und hin und wieder erinnerte sich die eine oder andere Klasse tatsächlich noch dieser Gepflogenheit. Als Mrs. Stevens an ihrem Geburtstag nachmittags die 5C betrat, erhoben sich auf ein Zeichen von Kevin Costyn alle Schülerinnen und Schüler in schöner Einmütigkeit, und das Stimmengewirr verstummte so jäh, als habe ein Maestro mit dem Taktstock ans Pult geklopft.
    Es war wie die Stille vor dem Sturm.

(III)

    Als ich den Schritt von Schülern hörte, die meine alte knarrende Treppe hochstiegen, kam ich mir vor wie eine abgeschlaffte Hure, die auf ihre Freier wartet.
    (A. L. Rowse, On Life as an Oxford Don)

    Er stand vor der rostigen Gegensprechanlage. «Ich bin’s nur», sagte er.
    Ein kurzes fernes Surren, ein Klicken, dann ihre Stimme: «Es ist offen.»
    Er ging die drei Treppen mit dem abgetretenen Läufer hoch und dachte an die junge Frau, die ganz oben wohnte. An das blasse, abgezehrt wirkende Gesicht, die Augen, die (so dachte McClure bei sich) vielleicht einmal gestrahlt hatten wie die der Athena Glaucopis, jetzt aber von einem stumpfen Schlammgrün waren wie das Wasser des Oxford-Kanals. Die Stupsnase, die in der Form ein wenig an einen Übungshang für junge Skihasen erinnerte, verunstalteten (seiner Ansicht nach) zwei billige silberne Ringe in den Nasenflügeln. Die eher zu schmalen Lippen (am aristotelischen Mittel gemessen) waren dick mit orangefarbenem Lippenstift nachgezogen — ein Farbton, den jede nur einigermaßen kompetente Make-up-Beraterin ihr sofort verboten hätte, weil er sich ganz und gar nicht mit den stümperhaft eingefärbten roten Strähnen im langen dunkelbraunen Haar vertrug.
    Wozu aber diese Details von Gesicht und Haar? Der zweite Freier, den die junge Frau an diesem Mittwoch, dem 25. Mai, empfing, hatte ganz anderes im Sinn, als er ein wenig atemlos die letzten Stufen der schmalen, engen Treppe erklomm.
    Die junge Frau schlug die schmuddelige Tagesdecke zurück, beförderte mit einem gezielten Tritt einen Schlüpfer hinter die abgeschabte Couch, schenkte Rotwein (2,99 Pfund vom Discounter) in zwei Gläser, setzte sich auf das schmale Bett und aß, als es leise klopfte, rasch noch ihren Marsriegel auf.
    Sie trug eine zerknitterte, hochgeschlossene lindgrüne Bluse, an weißen Strapsen schwarze Nylonstrümpfe, die den halben Oberschenkel unbedeckt ließen, und rote Stöckelschuhe. Mehr nicht. So wollte er sie haben; so war sie. Not macht erfinderisch. Und nachdem die Schuldenlast auf der Eigentumswohnung, die sie sich vor fünfjahren auf der Höhe des Immobilienbooms zugelegt hatte, immer drückender geworden war, die Maschinenbaufirma ihr die Stellung im Verkaufsbüro gekündigt hatte und ihr Alkoholkonsum stetig stieg, mußte sie sich etwas einfallen lassen. So hatte sie sich schließlich einen... neuen Job gesucht.
    Daß die Arbeit sie befriedigte, hätte sie guten Gewissens nicht behaupten können. Andererseits war es die bei weitem anspruchsloseste und bestbezahlte Tätigkeit, die sie je gehabt hatte, und sie wußte, daß sie ihre Sache gut machte. Sobald sie die ärgsten Schulden los war, würde sie Schluß machen, ganz klar. Je schneller, desto besser.
    Sorgen machte ihr gelegentlich nur der Gedanke, ihre Mutter könne erfahren, daß sie sich ihren Lebensunterhalt als billige Nutte verdiente. Nein, so stimmte das nicht. Als teure Nutte, wie ihr derzeitiger Freier bestätigen konnte. Was sie nicht daran hinderte, sich mies und billig zu fühlen.
    Als es zum zweitenmal klopfte, stand sie auf, rückte die linke Strumpfnaht gerade, machte die Tür auf und wenig später auf dem schmalen Bett die Beine breit, die stark geschminkten Augen auf einen feuchten Fleck über ihrem (und ziemlich schnell auch über seinem) Kopf gerichtet.
    Es war alles recht simpel. Aber sie hatte nie das Gefühl, wirklich befriedigt zu werden. Ein Mindestmaß an körperlicher Anziehung, das war alles. Kurioserweise wünschte sie sich manchmal, daß da mehr wäre. Doch da war absolut nichts. Ganz selten einmal hatte sie für einen Freier so etwas wie Zärtlichkeit empfunden. Dieser hier war eine Ausnahme. Sie hatte sogar überlegt, ob sie, wenn er starb
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher