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Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege

Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege

Titel: Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege
Autoren: James Barclay
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die Al-Drechar konnten mit ihrem Verständnis und ihrer Erfahrung in der Dimensionstheorie den Kaan eine echte Chance bieten, wieder nach Hause zu gelangen.
    Das alles hatte die Spannungen verstärkt, unter denen sie während der letzten beiden Jahreszeiten auf Herendeneth ständig gelitten hatten. Hirad brauchte genau die Leute, die Erienne mit inbrünstiger Leidenschaft hasste. Doch hinter ihrem Hass gab es eine Ebene, auf der auch Erienne die Al-Drechar brauchte. Lyanna war das Kind des Einen gewesen, der alten magischen Ordnung, die in Balaia geherrscht hatte, bevor die vier Kollegien vor über zweitausend Jahren entstanden waren. Erienne und ihr Mann Denser glaubten an diese Ordnung, und die Al-Drechar waren deren letzte lebende Vertreter. Was Erienne in ihrem Bewusstsein barg, war die letzte Hoffnung für diese Ordnung, doch sie musste dazu die Hilfe der Al-Drechar annehmen. Allein dieses Wissen verstärkte ihr Elend erheblich.
    »Ihr Geist ist umwölkt«, sagte Sha-Kaan, der zu Erienne hinabschaute. »Kummer verschleiert die Vernunft.« Die Bemerkung des Großen Kaan, der die extreme Verfassung von Eriennes Geist in seinem eigenen spüren konnte, verriet kein besonderes Mitgefühl.
    »Das ist nur natürlich«, erwiderte Hirad.
    »Für Menschen vielleicht«, antwortete Sha-Kaan. »Es macht sie gefährlich.«
    Hirad seufzte. »Sha-Kaan, sie hat mit ansehen müssen, wie drei ihrer Kinder ermordet wurden, Lyanna von den Al-Drechar und ihre Zwillinge von den Hexenjägern der Schwarzen Schwingen. Es wundert mich, dass sie überhaupt
noch bei Verstand ist. Würdest du dich nicht ähnlich fühlen?«
    »Ehrlich gesagt sind Geburten bei den Kaan schon seit langer Zeit ein sehr seltenes Ereignis«, erwiderte der Drache nach einer Weile. »Wenn ein junger Kaan stirbt, dann müssen wir ihn ersetzen. Wir haben keine Zeit zu trauern.«
    »Aber du musst doch etwas für die Mutter und das junge Wesen empfinden, das gestorben ist«, sagte Hirad.
    »Die Brut trauert, und die Brut unterstützt. Der Geist der Mutter wird durch die Psyche der Brut getröstet, und ihr Schmerz wird geringer, wenn sie ihn teilt. So ist es bei den Drachen. Bei den Menschen ist Kummer etwas Einsames, das daher lange anhält.«
    Hirad schüttelte den Kopf. »Einsam ist es nicht. Wir sind alle hier, um Erienne zu helfen.«
    »Aber da du nicht in ihren Geist schauen kannst, kannst du ihr nicht dort helfen, wo sie es am dringendsten braucht.«
    Ein reptilisches Bellen hallte über die Insel. Nos-Kaan umrundete die dreißig Fuß hohe Steinsäule und glitt herab, um dicht neben Sha und Hirad zu landen. Seine goldenen Rückenschuppen schimmerten im Sonnenlicht, und die Erde bebte, als seine Hinterpfoten den Boden berührten. Die mächtigen Schwingen, die hundert Fuß oder mehr von Spitze zu Spitze maßen, schlugen noch einmal, damit er nicht das Gleichgewicht verlor, dann faltete er sie auf seinem langen Körper zusammen. Der Luftzug wehte Hirad ins Gesicht. Nos-Kaan krümmte den Hals, um den Kopf dicht neben Sha-Kaans Kopf zu legen. Die Drachen berührten sich kurz mit den Mäulern. Selbst jetzt noch, nach so vielen Jahren, fand Hirad den Anblick Ehrfurcht gebietend und fühlte sich einen
Moment lang klein und unbedeutend angesichts solcher Größe und Pracht.
    »Sei gegrüßt, Hirad«, sagte Nos-Kaan mit schmerzerfüllter Stimme.
    »Wie war der Flug?«
    »Willst du die Wahrheit wissen?«, fragte der Drache. Hirad nickte. »Ich brauche die heilenden Ströme des interdimensionalen Raumes, sonst muss ich sterben. Vorher jedoch werde ich an den Boden gefesselt sein.«
    Hirad war erschüttert. Er hatte angenommen, die Ruhe, die die beiden Kaan in den letzten beiden Jahreszeiten auf Herendeneth gefunden hatten, hätte die magischen Wunden heilen lassen, die sie sich beim Kampf gegen die dordovanischen Magier zugezogen hatten.
    »Wie lange noch?«
    »Eine Jahreszeit noch, länger nicht. Ich bin schwach, Hirad.«
    »Und du, Großer Kaan?«
    »Ich bin bei besserer Gesundheit«, erklärte Sha-Kaan. »Aber auch mein Tod ist unausweichlich, wenn ich nicht bald nach Hause komme. Wo sind dein Unbekannter Krieger und seine Forscher?«
    »Er müsste bald kommen. Er hat es versprochen.«
    Eigentlich hätte er längst hier sein müssen. Die letzte Begegnung mit dem großen Mann lag lange zurück, und Hirad begann allmählich zu fürchten, ihm sei etwas zugestoßen. Aus Balaia hatten sie wenig gehört. Was sie erfahren hatten, hatte auf dem unvollständigen Wissen der
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