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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Autoren: Robin Hobb
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hatten an der Heimatpier ihrer Opfer angelegt.
    Kein Ausguck stieß einen Warnruf aus. Kein Wächter blies das Horn oder warf eine Fackel in den vorbereiteten Holzstoß, um ein Signalfeuer zu entzünden. Ich hielt nach ihnen Ausschau und entdeckte sie sogleich. Das Kinn auf die Brust gesunken, verharrten sie müßig auf ihrem Posten. Guter grauer Wollstoff hatte sich unter dem Blutstrom aus ihren durchschnittenen Kehlen rot gefärbt. Ihre Mörder waren unbemerkt gekommen, von Land her und mit genauer Kenntnis der einzelnen Standorte, um die Warner stumm zu machen. Es gab niemanden mehr, den schlafenden Ort zu wecken.
    Viele Wächter waren es nicht gewesen. Das kleine Städtchen, eher ein Dorf, hatte nicht sonderlich viel zu bieten, kaum genug, um einen Punkt auf der Landkarte zu rechtfertigen. Weil es nichts zu holen gab, hatte man geglaubt, vor Überfällen wie diesem sicher zu sein. Zwar lieferten ihre Schafe beste Wolle, die zu feinem Garn versponnen wurde. Man fing und räucherte den Lachs, wenn er den Fluß hinaufkam; die Äpfel der Gegend waren klein, aber süß und gaben einen guten Wein. Ein Stück die Küste entlang nach Westen lag eine ertragreiche Muschelbank. Solcherart waren die Reichtümer von Syltport, und obzwar nicht groß, machten sie den Einwohnern das Leben hier lebenswert. Doch keinesfalls lohnte es den Aufwand, sich ihrer mit Fackel und Schwert bemächtigen zu wollen. Welcher verständige Mensch konnte annehmen, ein Faß Apfelwein oder ein paar Räucherlachse wären einem Korsaren der Mühe wert?
    Aber dies waren Rote Korsaren, und sie gelüstete es nicht nach Reichtümern oder Schätzen. Sie hatten es nicht auf Zuchtvieh abgesehen, nicht einmal auf Frauen, um sie mit nach Hause zu nehmen, oder auf Knaben als Rudersklaven. Die Wollschafe würden sie verstümmeln und abschlachten, die Lagerhäuser mit den Vliesen und Weinfässern in Brand stecken. Gefangene machten sie, doch nur, um sie zu entfremden und – nach dieser magischen Umwandlung aller menschlichen Wesensart beraubt – als Pestgeschwür in unserer Mitte zurückzulassen. Vernunftlose Kreaturen, ohne Erinnerung, von primitivsten Instinkten beherrscht, erfüllten sie jene mit Leid und Verzweiflung, denen sie teuer gewesen waren, und plünderten ihr Heimatland mit der Erbarmungslosigkeit von Vielfraßen. Uns zu zwingen, unsere eigenen Landsleute als Mörder und Wegelagerer zu verfolgen, war die grausamste Waffe der Outislander.
    Ich schaute zu, wie die Flut des Todes stieg und die kleine Stadt in Besitz nahm. Die Korsaren sprangen von den Schiffen auf den Kai und sickerten in den Ort, verteilten sich in den Gassen wie tödliches Gift in Wein. Einige blieben zurück, um die anderen Schiffe im Hafen zu durchsuchen, zumeist offene Kähne, aber auch zwei Fischerboote und ein Frachter. Die Mannschaften fanden einen schnellen Tod. Ihre panische Gegenwehr war so pathetisch wie das Flattern und Gackern, wenn ein Wiesel ins Hühnerhaus eindringt. Der dichte Nebel verschluckte gierig ihre Schreie, unter seiner Decke war das Sterben eines Menschen nicht mehr als der verlorene Ruf eines Seevogels. Anschließend wurden die Boote in Brand gesetzt, achtlos, ohne einen Gedanken an ihren Wert als Beute. Diese Piraten scherten sich nicht um Beute. Vielleicht nahmen sie eine Handvoll Münzen, wenn es sich so ergab, die Kette vom Hals einer Frau, die sie vergewaltigt und getötet hatten, aber wenig mehr als das.
    Ich konnte nichts anderes tun, als zuzusehen. »Wenn ich sie nur verstehen könnte«, sagte ich zu dem Narren. »Ihre Beweggründe. Das Tun dieser Roten Korsaren ist ohne Sinn und Ziel. Wie sollen wir gegen einen Angreifer Krieg führen, der nicht preisgibt, weshalb er unsere Küsten verheert? Aber wenn ich sie verstehen könnte…«
    Der Narr schürzte die blutleeren Lippen. »Sie sind von demselben Wahnsinn besessen wie der, der sie antreibt. Verstehen kann man sie nur, wenn man sich ebenfalls darauf einläßt. Ich für meine Person hege nicht den Wunsch, sie zu verstehen. Daß man versteht, weshalb sie tun, was sie tun, wird sie nicht hindern, damit fortzufahren.«
    »Nein.« Ich wollte nicht mit ansehen, was geschah. Zu oft war ich Augenzeuge dieser Greueltaten gewesen. Doch nur ein herzloser Mensch hätte sich abwenden können wie von einem schlecht in Szene gesetzten Puppenspiel. Das mindeste, was ich für mein Volk tun konnte, war zuzusehen, wie es starb. Das mindeste und das einzige. Ich war krank und gebrechlich, ein alter Mann, weit
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