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Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Titel: Die leere Wiege: Roman (German Edition)
Autoren: Ruth Dugdall
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draußen gewesen. Hier kennen mich alle. Man legt mich immer mit den Neuen zusammen, damit ich ihnen helfen kann – manchmal kommen sie anfangs nicht so gut zurecht.« Dann wiederholt sie die Frage, die man mir jetzt schon zweimal gestellt hat. »Du bist nicht selbstmordgefährdet, oder?«
    »Nein.«
    »Das ist doch schon mal ein Plus für dich«, sagt sie zuversichtlich. »Einige der Neuen zittern wie nasse Kätzchen.«
    Ich verberge die Hände auf dem Rücken und bin froh, dass sie nicht gesehen hat, wie sehr sie zittern.
    »Wie heißt du?«
    »Rose.«
    »Ein schöner Name. Ich heiße Jane.« Sie lächelt voller Vertrauen. »Meine Freunde nennen mich Janie.«
    »Dürfte ich mal das Klo benutzen?«
    »Du brauchst nicht um Erlaubnis zu fragen.« Sie deutet auf die Metallschüssel hinter der schmalen Trennwand.
    »Du schaust aber nicht zu, oder?«
    Sie starrt mich an, als hätte ich den Verstand verloren, zuckt mit den Schultern und dreht sich auf die Seite, mit dem Rücken zu mir. Hinter der Trennwand schiebe ich eine Hand in meine Unterhose. Gleich darauf seufze ich erleichtert auf und befreie mich von dem unangenehmen Druck.
    Ich halte den Schlüssel ans Licht und reibe ihn an meiner Jeans ab. Mein kostbarer Schlüssel. Das Einzige, was mir von Luke geblieben ist.

4.
     
     
     
    Neun lange Monate habe ich auf die Verhandlung gewartet, so lange, wie ein Baby braucht, nur dass in mir nichts als Furcht gewachsen ist. Der Crown Court von Ipswich ist anders, als ich ihn mir vorgestellt habe, nicht wie die Gerichtssäle, die ich aus Filmen kenne. Er ist kleiner und dunkler, und die Menschen flüstern, sodass man nicht weiß, worum es geht.
    Man hat mich von der Gerichtszelle direkt in den Bereich für die Angeklagten gebracht. Er erinnert mich an den Bug eines Schiffs im Hafen, auch wenn ich nicht weiß, ob die Schranke mich vor den Leuten oder die Leute vor mir schützen soll. Die Handschellen sind mir abgenommen worden, doch ich werde von zwei Wachbeamten flankiert, einem Mann und einer Frau in identischen grauen, mit weißen Borten abgesetzten Uniformen. Sie sind mir zu nahe. Der an Essig erinnernde Körpergeruch des Mannes steigt mir in die Nase. Doch selbst wenn ich über die Schranke springen und davonlaufen würde, käme ich nie an der Meute der Reporter draußen vor dem Gebäude vorbei. Ihr Anblick war ein Schock für mich. Ihr Interesse an mir ergibt keinen Sinn. Ich bin eine ganz normale Frau, die in die traurige Geschichte eines toten kleinen Jungen verwickelt ist.
    Ich höre Stimmen, die von den Besucherrängen kommen, schaue hoch und erschrecke, denn dort oben beugen sich unzählige Männer und Frauen über die Brüstung. Sie wollen mich sehen und machen sich auf ihren Blöcken Notizen.
    An der Stirnseite des Gerichtssaals steht hinter einem langen Holztisch ein gewaltiger Holzstuhl, darüber ein vergoldetes Wappen mit lateinischer Inschrift. Der Stuhl sieht aus wie ein Thron. Ein Stück darunter sitzt eine Frau an einem kleineren Tisch, eine zierliche Person, gepflegt, in einem adretten schwarzen Kostüm, das glänzende Haar zu einem Bob geschnitten. Sie blättert in einem dicken Aktenordner. Wahrscheinlich sind darin all die Lügen abgeheftet, die sie in den neun Monaten meiner Untersuchungshaft über mich erzählt haben.
    Ich atme auf, als jemand auf mich zukommt, den ich kenne. Es ist Mr Thomas, mein Anwalt, ein korpulenter, rosiger Mann, der über dem Nadelstreifenanzug eine schwarze Robe trägt. Er tritt an die Schranke und bleibt einen knappen halben Meter unter dem Podest stehen, auf dem ich sitze. Ich kann sehen, dass er langsam kahl wird.
    »Die Show fängt gleich an«, sagt er. »Der Richter dürfte jeden Moment erscheinen. Und nicht vergessen: Wenn er eintritt, stehen Sie auf und senken den Kopf.« Er taxiert mich. »Nettes Kostüm, aber bitte machen Sie am Hals ein paar Knöpfe auf. Als Frisur wäre ein Pferdeschwanz besser gewesen, das hätte Sie jünger gemacht. Morgen legen Sie Make-up auf, ja? Nicht zu viel, das sähe nach zu großer Zuversicht aus. Machen Sie sich einfach ein bisschen hübsch, das hat noch niemandem geschadet.«
    Ich versuche mir Farbe in die Lippen zu reiben, aber ich weiß, dass ich nie hübsch sein werde. Während der Untersuchungshaft habe ich weder Lippenstift noch Make-up getragen. Auch meine Haare sind in der ganzen Zeit nicht einmal geschnitten worden. Sie hängen wie ein dunkler Vorhang herab.
    »Ich werde Jason bitten, mir Make-up zu besorgen«, sage ich und
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