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Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Titel: Die leere Wiege: Roman (German Edition)
Autoren: Ruth Dugdall
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einer Ecke saß ein kraftlos wirkender Mann mit schwarz gerahmter Brille und beugte sich über einen Stapel Unterlagen.
    »He, Wayne«, rief Callahan, »komm her!«
    Wayne rappelte sich auf. Mit gekrümmtem Rücken schlurfte er gehorsam näher. Das Ende seines roten Kugelschreibers war zerkaut.
    Cate streckte die Hand aus. Wayne betrachtete sie verwundert, ehe er sie drückte.
    »Cate Austin, die neue Bewährungshelferin«, sagte sie.
    Wayne lächelte scheu. »Wayne Bugg. Ich bin für die Einweisungen zuständig.«
    Cate sah sich um und nickte zu den Plastikschalen auf dem langen Tisch hinüber. »Wozu sind die gut?«
    »Wenn ein Mädchen … Verzeihung … eine Frau hier ankommt, müssen wir ihr sämtliche Besitztümer abnehmen. Schmuck, Handtasche, Gürtel und so weiter. Das eine oder andere geben wir den Frauen später zurück, aber zunächst mal schließen wir alles weg, was ihnen gefährlich werden kann.«
    »Was soll an den Sachen denn gefährlich sein?«
    »Na, falls die Frauen bedroht werden.« Waynes Blick zuckte zu Callahan hinüber, der von der Fliege abgelenkt war und mit einer fleischigen Hand nach ihr schlug. »Jemand könnte den Schmuck als Schutzgeld kassieren. Aber unsere größte Sorge ist, dass sie sich umbringen, deshalb müssen sie sogar die Gürtel und Schnürsenkel abgeben. Sie würden sich wundern, wie einfallsreich Menschen sein können, wenn sie sich das Leben nehmen wollen.«
    »Du bist und bleibst ein Weichei«, sagte Callahan. »Du hättest Bewährungshelfer werden sollen.«
    Wayne zog den Kopf ein und murmelte etwas wie: dazu seien seine Noten in der Schule nicht gut genug gewesen. Cate lächelte Wayne an.
    Callahan verzog das Gesicht. »Wayne kriegt irgendwann noch einen Heiligenschein.«
    Sie verließen die Abteilung und bogen in einen schmalen, trübe beleuchteten Flur, der zum Büro der Sicherheitsabteilung führte. Mit einem Mal spürte Cate, dass jemand ihr Handgelenk umklammerte, und schaute nach unten. Callahan hatte sich und ihr miteinander verbundene Handschellen angelegt und kicherte wie ein Schuljunge. Als Cate versuchte, ihre Hand zu befreien, zog sich die Stahlklammer enger zusammen. Sie geriet aus dem Tritt und stolperte.
    »Hoppla!« Callahan riss sie hoch. »Gut, dass ich Sie am Händchen halte.«
    Sein Gesicht war nun direkt vor ihr. Er grinste so breit, dass sie fast alle seine Zähne sah. Seine Lippen waren feucht, die Augen zusammengekniffen. Er weidete sich an ihrem Entsetzen.
    »Eins-a-Ware, die Handschellen.« Er lachte in sich hinein. Seine Schlangenaugen funkelten aufgeregt.
    »Sie nehmen mir dieses Ding sofort ab«, zischte Cate.
    Im Nu war ihre Hand wieder frei. Callahan war noch immer amüsiert. Cate massierte ihre verdrehte Schulter und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. Aber die Freude, vor ihm zu weinen, würde sie ihm nicht machen. Callahan spuckte seinen Kaugummi auf den Boden.
    Cates Herzschlag beruhigte sich langsam. Sie fragte sich, warum sie nicht auf direktem Weg zum Büro des Gefängnisdirektors marschierte, um sich offiziell über Callahan zu beschweren. Schweigend lief sie weiter. Die Machtlosigkeit, die sie empfand, setzte ihr zu.
     
    Callahan erklärte, Deborah Holley führe praktisch das Gefängnis, denn sie sei die Leiterin des Sicherheitsdienstes. Gleich darauf stand Cate einer Frau gegenüber, die einen recht verbissenen Eindruck machte. Die Bluse hatte sie bis zu ihrem dürren Hals zugeknöpft, die Bügelfalten ihrer Hose waren messerscharf, das Gesicht sah aus wie gestrafft. Typ Buchhalterin, ging es Cate durch den Kopf. Deborah Holley stand auch nicht auf, sondern fuhr auf ihrem Stuhl zu der Besucherin herum. Cate gab ihr die Hand, die Holley umfasste und mit einem kräftigen Ruck nach unten zog. Danach tat Cate das Handgelenk weh. Sie warf einen Blick auf den Schreibtisch. Dort lagen penibel nebeneinander aufgereiht ein Stift, ein Block und eine Brotdose aus Plastik, auf deren Deckel eine Banane und eine Dose Red Bull das Gleichgewicht hielten.
    Callahan hockte sich auf die Schreibtischkante und machte sich an dem ordentlichen Arrangement zu schaffen. Zu Cates Erstaunen ließ Holley ihn gewähren. Callahan ließ ein Bein hin und her schwingen, während Deborah Holley Cate die Sicherheitsmaßnahmen erläuterte. Mit tonloser Stimme zählte sie auf, dass man den Insassen nicht trauen könne, dass Cate sich nie bereit erklären dürfe, ein Päckchen oder den Brief eines Gefangenen mit nach draußen zu nehmen, und so weiter und so
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