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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola
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Mildtätigkeit des guten Fräuleins.
    »Was willst du hier?« fragte Pauline, als sie den jungen Houtelard bemerkte. »Ich hatte dir verboten, wiederzukommen.«
    Dieser war jetzt ein großer Bursche, der sich den Zwanzigern näherte. Sein trauriges und furchtsames Wesen eines geschlagenen Kindes war in Duckmäuserei übergegangen. Er antwortete mit niedergeschlagenen Augen:
    »Sie müssen Erbarmen mit uns haben, Fräulein. Wir sind so unglücklich, seitdem Vater tot ist!«
    Houtelard, der eines Abends bei stürmischer See ausgefahren, war nicht wieder zurückgekommen; man hatte weder seinen Leichnam, noch den seines Matrosen, noch ein Brett der Barke aufgefischt. Pauline aber, zum Haushalten mit ihren Almosen gezwungen, hatte geschworen, weder dem Sohne noch der Witwe etwas zu geben, denn sie lebten ganz öffentlich als Mann und Frau. Seit des Vaters Tode hatte die Stiefmutter, diese frühere Magd, die den Kleinen aus Bosheit braun und blau geprügelt, jetzt, wo er den Schlägen entwachsen war, sich einen Mann aus ihm gemacht. Ganz Bonneville lachte über diese neue Tat.
    »Du weißt, warum ich nicht will, daß du den Fuß in mein Haus setzest«, begann Pauline wieder. »Wenn du dein Betragen änderst, wollen wir weiter sehen.«
    Er verteidigte mit schleppender Stimme seine Sache.
    »Sie hat es gewollt. Sie würde mich noch weiter geschlagen haben. Und dann ist sie ja nicht meine Mutter, das tut also nichts, ob sie es mit mir oder mit einem andern macht. Geben Sie mir etwas, Fräulein! Wir haben alles verloren. Ich würde mir schon zu helfen wissen; aber es ist für sie, sie ist krank, wahrhaftig, ich schwöre es.«
    Das junge Mädchen, von Mitleid ergriffen, schickte ihn mit einem Brote und einem Topfe Suppenfleisch fort. Sie versprach, selbst nach der Kranken zu sehen und ihr Arznei zu bringen.
    »Ah, ja, Arznei!« murmelte Chanteau. »Versuche nur, ob du sie dazu bringst, auch nur eine einzige zu verschlucken. Die wollen nur Fleisch.«
    Pauline beschäftigte sich bereits mit der kleinen Prouane, deren eine Backe ganz aufgerissen war.
    »Wie hast du nur das fertig bekommen?«
    »Ich bin gegen einen Baum gefallen, Fräulein.«
    »Gegen einen Baum... Man könnte eher meinen, gegen eine Möbelkante.«
    Das jetzt erwachsene Mädchen mit den hervorspringenden Backenknochen hatte immer noch die großen, verstörten Augen einer Mondsüchtigen; sie machte vergebliche Anstrengungen, sich manierlich aufrechtzuerhalten. Ihre Füße knickten ein, ihrer schweren Zunge gelang es nicht, die Worte deutlich hervorzubringen.
    »Aber du hast ja getrunken, Unglückliche!« rief Pauline sie starr ansehend.
    »Oh! Fräulein, wie kann man das sagen?«
    »Du bist betrunken und zu Hause gefallen, ist es nicht so? Ich weiß nicht, was ihr alle im Leibe habt ... Setze dich, ich werde Arnika und Leinwand holen.«
    Sie verband sie und versuchte dabei, sie abzukanzeln. Das sei abscheulich für ein Mädchen ihres Alters, sich so mit den Eltern zu berauschen, mit Trunkenbolden, die man von dem Calvados-Schnaps umgebracht eines Morgens tot auffinden werde. Die Kleine hörte zu, ihre trüben Augen machten den Eindruck, als wolle sie sogleich einschlafen. Als sie verbunden war, stammelte sie:
    »Papa klagt über Schmerzen, ich würde ihn einreiben, wenn Sie mir etwas Branntwein mit Kampfer geben wollten.«
    Pauline und Chanteau konnten sich nicht enthalten zu lachen.
    »Nein, ich weiß, was aus meinem Branntwein wird! Ich will dir gern noch ein Brot geben, obgleich ich sicher bin, ihr verkauft es, um das Geld zu vertrinken ... Bleib sitzen, Cuche wird dich nach Hause führen.«
    Jetzt hatte sich Cuche erhoben. Er war barfuß und trug als einzige Bekleidung ein Paar alte Beinkleider und ein Stück von einem zerfetzten Hemde, das seine von der Sonnenglut geschwärzte und von den Dornen bearbeitete Haut sehen ließ. Da die Männer nichts mehr von seiner Mutter wissen wollten, die in einen abschreckenden Verfall geraten war, durchstrich er selbst die Gegend, um ihr noch Leute zuzuführen; man begegnete ihm auf den Landstraßen, man sah ihn mit der Geschmeidigkeit eines Wolfes über Hecken springen, er führte das Dasein eines Tieres, das sich aus Hunger auf jede Beute wirft. Es war die letzte Stufe des Elends und der Verworfenheit, ein solcher Verfall eines Menschen, daß Pauline ihn mit Gewissensbissen betrachtete, als fühle sie sich schuldig, ein Geschöpf in solchem Schmutz zu lassen. Aber sooft sie ihn daraus zu retten versuchte, stand er aus
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