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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola
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Teller bereit gelegt, dann war sie plötzlich wie in den Erdboden verschwunden und niemand hatte sie wiedergesehen. Pauline hatte sich endlich, über dieses Verschwinden bestürzt, daran gemacht, das Fleisch selbst an das Feuer zu setzen.
    »Sie ist also nicht wiedergekommen?« fragte Luise, von ihrem Zorne abgelenkt.
    »Aber nein!« entgegnete das junge Mädchen. »Weißt du, was ich vermute? Sie hat ihre Ente bei einer vorüberziehenden Frau mit vierzig Sous bezahlt, und ich besinne mich, ihr gesagt zu haben, daß ich in Verchemont sehr schöne zu dreißig gesehen hätte ... Sie hat mir sogleich ihr Gesicht zugekehrt und einen ihrer bösen Blicke zugeworfen ... Ich wette, sie ist nach Verchemont gegangen, um zu sehen, ob ich gelogen habe.«
    Sie lachte, aber es klang eine Traurigkeit aus diesem Lachen, denn sie litt unter der Heftigkeit, von der Veronika ohne irgendwelche Ursache wieder einmal gegen sie eingenommen war. Diese Wesensänderung, die sich seit dem Tode der Frau Chanteau bei dieser Magd vollzog, hatte nach und nach ihren Haß von ehemals wieder geweckt.
    »Schon länger als eine Woche kann man kein Wort aus ihr herausbringen«, sagte Luise. »Bei einem solchen Wesen sind alle Dummheiten möglich.«
    Pauline machte eine Bewegung der Duldsamkeit.
    »Lassen wir sie ihre Launen austoben. Sie kommt doch wieder, und wir sterben dieses Mal noch nicht Hungers.«
    Aber das Kind bewegte sich auf der Decke. Sie lief hinzu und beugte sich über den Knaben.
    »Was denn, mein Liebling?«
    Die noch am Fenster stehende Mutter schaute einen Augenblick hin, dann verschwand sie. Der in sich vertiefte Chanteau wandte nur den Kopf, als Loulou zu knurren begann, und meldete selbst der Nichte:
    »Pauline, da kommen deine Leute!«
    Zwei zerlumpte Burschen erschienen, die ersten der Bande, deren Besuch sie jeden Sonnabend empfing. Da der kleine Paul sofort wieder eingeschlafen war, stand sie auf und sagte:
    »Ah, sie fallen mir gerade recht ins Haus! Ich habe keinen Augenblick Zeit! Bleibt trotzdem, setzt euch auf die Bank. Und wenn andere kommen, Onkel, so laß sie sich neben sie setzen ... Ich muß notwendig einen Blick auf mein Ragout werfen.«
    Als sie nach einer Viertelstunde wiederkam, saßen bereits zwei Knaben und zwei Mädchen auf der Bank, die einstigen kleinen, jetzt herangewachsenen Armen, die ihre Gewohnheit zu betteln beibehalten hatten.
    Niemals zuvor hatte sich übrigens solch Elend über Bonneville entladen. Während der Maistürme waren die letzten drei Häuser an den Felsen plattgedrückt worden. Jetzt war es zu Ende, die Hochflut hatte das Dorf – nach jahrhundertelangem Angriffe – durch einen fortwährenden gewaltsamen Einbruch des Meeres, der jedes Jahr eine Ecke des Landes verschlang, fortgefegt. Auf den Strandkieseln herrschten nur noch die siegreichen Wogen und spülten auch die letzten Spuren des Bauholzes fort. Die Fischer, aus dem Loche verjagt, in dem Geschlechter unter der beständigen Drohung hartnäckig ausgeharrt, waren gezwungen, höher hinaufzusteigen, in die Schlucht, wo sie in Haufen beisammen hausten; die reicheren bauten sich an, die anderen suchten unter den Abhängen Schutz, sie alle gründeten ein neues Bonneville in der Erwartung, daß sie nach weiteren Jahrhunderten des Kampfes die Flut wieder verscheuchen würde. Um sein Zerstörungswerk zu vollenden, hatte das Meer erst die Stakete und Pfahlwerke fortreißen müssen. An jenem Tage wehte der Wind aus Norden, ungeheure Wassermassen rollten mit solcher Gewalt einher, daß von den Stößen die Kirche erzitterte. Der davon in Kenntnis gesetzte Lazare wollte nicht hinuntergehen. Er war auf der Terrasse geblieben und sah die Flut steigen, während die Fischer, von dem wütenden Angriffe gereizt, herbeieilten. Entsetzen und Stolz kämpften in ihnen; diesmal heulte sie laut genug, diesmal würde sie ihm das nett rein fegen, diese Spitzbübin von See. In der Tat war in weniger als zwanzig Minuten alles verschwunden, das Pfahlwerk ausgerissen, das Bollwerk zerbrochen, zu Splittern zermalmt. Sie heulten mit dem Meer, sie gestikulierten und tanzten wie die Wilden, von dem Rausche des Windes und des Wassers ergriffen, dem Entsetzen vor dieser Zerstörungswut nachgebend. Als Lazare ihnen dann die Faust wies, suchten sie das Weite, auf den Fersen den wütenden Ansturm der Wogen, die nunmehr nichts zurückhielt. Sie starben jetzt Hungers, wimmerten in dem neuen Bonneville, klagten das verdammte Meer ihres Verderbens an und empfahlen sich der
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