Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
anschließend über die Vergebung der Sünden informieren. Er legte sich hin und sah an die Decke. Alles war neu, und doch war nichts anders. Er schloss die Augen. Er hatte im Flugzeug nicht geschlafen, und mit oder ohne Jetlag, mit oder ohne Gardinen würde er jetzt schlafen und wieder den Traum träumen, den er im Laufe der letzten drei Jahre jede Nacht geträumt hatte. Ein langer Flur, über den er vor einer donnernden Lawine davonzulaufen versuchte, die alle Luft aufsog, so dass er nicht atmen konnte.
    Er musste nur noch ein bisschen durchhalten, nur die Augen geschlossen halten.
    Dann verlor er die Kontrolle über seine Gedanken, sie glitten weg.
    Nächste Angehörige.
    Angehören. Gehören.
    An-ge-hö-ri-ge.
    Ja, das war er. Und genau deshalb war er zurück.
    Sergej fuhr über die E6 in Richtung Oslo. Er sehnte sich nach seinem Bett in Furuset. Beachtete die Geschwindigkeitsbegrenzung, fuhr nie schneller als einhundertundzwanzig, obwohl so spätabends viel Platz war. Dann klingelte sein Handy. Das Handy. Es war Andrej. Er hatte mit dem Onkel gesprochen, dem ataman – dem Anführer –, den Andrej Onkel nannte. Nachdem sie das Gespräch beendet hatten, konnte Sergej sich nicht länger beherrschen. Er drückte das Gaspedal durch. Schrie vor Freude. Der Mann war gekommen. Heute, an diesem Abend. Er war hier! Sergej sollte vorerst noch nichts unternehmen, hatte Andrej gesagt, es sei möglich, dass die Situation sich ganz von allein wieder entspannte. Aber er sollte jederzeit bereit sein, mental wie körperlich, mit dem Messer trainieren, schlafen und sich konzentrieren. Für den Fall, dass das Notwendige notwendig wurde.
    Kapitel 4
    T ord Schultz nahm das Flugzeug, das über das Dach des Hauses hinwegdröhnte, kaum wahr, als er schwer atmend auf dem Sofa saß. Der Schweiß lag wie ein dünner Film auf seinem nackten Oberkörper, und noch immer hallte es metallisch zwischen den kahlen Wänden des Zimmers wider. Hinter ihm stand das Stativ mit der Hantelstange, die sich über die vor Schweiß glänzende Bank mit dem Skaibezug spannte. Donald Draper zwinkerte ihm aus dem Fernseher durch Zigarettenrauch zu und nippte an seinem Whiskey. Wieder flog ein Flugzeug lärmend über das Haus. Mad Men . Sechziger Jahre. USA . Frauen in anständigen Kleidern. Ordentliche Drinks in ordentlichen Gläsern. Und keine Filterzigaretten mit Mentholgeschmack. Damals machte einen alles, was einen nicht tötete, nur noch härter. Er hatte nur die erste Staffel gekauft, sah sich diese dafür aber wieder und wieder an. Woher sollte er wissen, ob ihm die Fortsetzung gefallen würde?
    Tord Schultz musterte die weiße Line auf dem gläsernen Couchtisch und wischte den unteren Rand seiner ID -Karte ab. Wie gewöhnlich hatte er das Pulver mit der Karte aufgelockert, die er an der Brusttasche seiner Flugkapitänsuniform trug, der Karte, die ihm Zutritt zur Airside verschaffte, zum Cockpit, zum Himmel, zum Lohn. Erst diese Karte machte ihn zu dem, der er war. Und auch sie würde ihm – zusammen mit all dem anderen – genommen werden, sollte jemals jemand etwas erfahren. Genau deshalb fühlte es sich richtig an, die ID -Karte für diesen Zweck zu verwenden. Das hatte – inmitten all der Unehrlichkeit – etwas Redliches, etwas Wahres.
    Morgen früh sollten sie zurück nach Bangkok fliegen. Dann folgten zwei wohlverdiente Ruhetage in der Sukhumvit Residence. Es würde alles gut werden. Besser als bisher. Die Vorgehensweise bei den Flügen aus Amsterdam hatte ihm nicht gefallen. Das Risiko war zu hoch gewesen. Nachdem bekannt geworden war, welch großen Anteil die südamerikanischen Crews am Kokainschmuggel nach Schiphol hatten, liefen alle Crews gleich welcher Fluggesellschaft Gefahr, kontrolliert zu werden. Es gab Handgepäckkontrollen und Leibesvisitationen. Außerdem war er bei dem früheren Vorgehen gezwungen gewesen, die Päckchen selbst mit aus dem Flugzeug zu nehmen und in seinem eigenen Gepäck aufzubewahren, bis er später mit dem Inlandsflug nach Bergen, Trondheim oder Stavanger flog. Inlandsflüge, die er einfach kriegen musste , auch wenn das zur Folge hatte, dass er ab und zu eine Extraportion Flugbenzin verbriet, sollte es in Amsterdam zu Verspätungen gekommen sein. In Gardermoen war er bei diesen Aktionen natürlich die ganze Zeit auf der Airside geblieben, wo es keine Zollkontrollen gab, aber trotzdem hatte er den Stoff so manchmal bis zu achtzehn Stunden in seinem eigenen Gepäck mit sich herumgetragen, bevor er ihn abliefern
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher