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Die Lady auf den Klippen

Die Lady auf den Klippen

Titel: Die Lady auf den Klippen
Autoren: Brenda Joyce
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auszuzeichnen, um dem Mann zu gefallen, den er für seinen Vater hielt?
      Zog er die Mathematik noch immer den Klassikern vor?
      Hatten sie endlich den Fechtmeister engagiert, den er empfohlen hatte?
      Rex schluckte und vermochte einen Moment nicht mehr zu atmen. Schließlich setzte er sich auf die Kante seines Schreibtischs, die Krücke unter dem rechten Arm. Dann griff er mit zitternder Hand nach dem Umschlag.
      Die Erinnerungen kamen wieder. Nach einer langen Rehabilitationszeit in einem Militärkrankenhaus war er nach Hause zurückgekehrt, und seine ganze Familie war gekommen, um ihn willkommen zu heißen, zusammen mit Nachbarn und Freunden. Aber Julia, seine Verlobte, war nicht dabei gewesen – nur zweimal hatte sie ihn im Krankenhaus besucht. Sofort hatte er seine Familie verlassen, um sie zu besuchen, aber sie war nicht zu Hause gewesen. Stattdessen hatte er sie in Clarewood gefunden, dem Familiensitz der Mowbrays – und in Toms Armen.
      An jenem längst vergangenen Frühlingstag im Jahr 1813 hatte er sich geschworen, weder Julia noch Mowbray jemals wiedersehen zu wollen. Er war entschlossen gewesen, ihre Existenz einfach zu ignorieren – als hätte es dieses verliebte Paar nie gegeben. Als wäre sie nie seine Geliebte gewesen, als hätte er nicht Leib und Leben riskiert, um Tom vor einem sicheren Tod zu retten.
      Aber die gute Gesellschaft war eine sehr kleine und überschaubare Gruppe. Ungefähr ein Jahr später hatte er gehört, dass die Mowbrays ihren ersten Sohn bekommen hatten – im Oktober. Er hatte nicht darüber nachdenken wollen, aber die Rechnung war zu offensichtlich. Da er Julia gleich nach Neujahr verlassen hatte, konnte Stephen ebenso gut sein Kind sein – auch wenn Mowbray ihre Gunst ebenfalls genossen haben sollte. Und dann hatte er den Klatsch gehört – dass der Junge ein Wechselbalg war, adoptiert oder vielleicht sogar der Sohn eines Liebhabers von Julia. Obwohl seine Eltern sehr blond waren, war der Junge so dunkelhaarig wie ein irischer Fischer.
      Überrascht hatte er den Jungen in Clarewood aufgesucht, um ihn mit eigenen Augen zu sehen. Für Rex war nur ein Blick nötig, um zu erkennen, dass das Kind ein de Warenne war. Die Männer der Familie de Warenne kamen nach zwei Vorfahren: Sie waren entweder blond oder unglaublich dunkel, und gewöhnlich besaßen sie die strahlend blauen Augen der de Warennes. Rex sah einen Jungen, der für eines der Kinderporträts seines Bruders Tyrell Modell gestanden haben könnte – oder für sein eigenes.
      Damit waren sie vor langer Zeit zu einer Vereinbarung gekommen. Dies war keineswegs der erste Fall dieser Art in der Gesellschaft. Die Mowbrays würden Stephen aufziehen, denn darauf bestand Julia, und Mowbray würde ihm ein Erbe zur Verfügung stellen, wie Rex es nie könnte. Als Gegenleistung dafür, dass er sein Kind dem Paar überließ, würde Rex jährliche Berichte erhalten und den Jungen einmal im Jahr besuchen. Die Wahrheit jedoch sollte verschwiegen bleiben. Mowbray wollte niemanden wissen lassen, dass Julia mit einem anderen Mann zusammen gewesen war.
      Welche Ironie, dass inzwischen ein Jahrzehnt vergangen war, und Stephen weitaus mehr von Mowbray bekommen würde als ein kleines Erbe. Als Clarewood verstarb, hatte Tom den Titel eines Duke geerbt, denn sein älterer Bruder war bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen. Was noch wichtiger war: Es gab keine anderen Kinder. Offensichtlich war Tom nicht in der Lage, selbst ein Kind zu zeugen. Eines Tages würde Stephen Mowbray der Duke of Clarewood werden, einer der reichsten und bedeutendsten Lords des Königreiches.
      Rex tat nur, was für seinen Sohn am besten war. Daran gab es keinen Zweifel. Doch jetzt hatte er das Gefühl, ihm würde ein Messer ins Herz gestoßen. Er öffnete den Brief.
      Wie immer war Stephen ausgezeichnet in seinen Studien und bei all seinen Unternehmungen. Im Lesen war er weit voraus und erhielt fortgeschrittenen Unterricht in Mathematik, noch immer sein Lieblingsfach. Er sprach fließend Französisch, Deutsch und beherrschte Latein, hatte mit dem Tanzunterricht begonnen und wusste bereits geschickt mit dem Säbel umzugehen, sodass sein Lehrer ihn gern an einem Turnier seiner Altersklasse teilnehmen lassen wollte. Seine Reitkünste waren ebenso beeindruckend, und zu seinem Geburtstag hatte er ein Vollblut geschenkt bekommen. Bereits jetzt übersprang er vier Fuß hohe Zäune vollkommen mühelos. Und kürzlich hatte Mowbray
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