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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels
Autoren: Sandra Lessmann
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ins Newgate-Gefängnis, wo seine Leiche mit Teer bestrichen wurde. Später sollte sie im Hyde Park in Ketten aufgehängt werden, wie es einem Straßenräuber zukam.
    Als der Leichnam weggebracht wurde, erhaschte Daniel noch einen letzten Blick auf sein blau angelaufenes, aufgedunsenes Gesicht. Der Bursche hatte einfach Pech gehabt. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Daniel empfand tiefes Mitleid für ihn und für seine Angehörigen.

2
    Gedankenverloren betrachtete Catherine Marshall, genannt Kitty, ihr Spiegelbild. Die Sprünge, die sich durch das Glas zogen, verzerrten die rechte Seite ihres blassen Gesichts und verschleierten so die Pockennarben, die sich über Schläfe und Wange zogen. Sie waren kaum zu sehen und entstellten sie nicht. Aber sie würden sie stets daran erinnern, dass sie ihrer Familie den Tod gebracht hatte. Vor vier Wochen war Kitty an den Blattern erkrankt und hatte ihre Eltern, die sie pflegten, angesteckt. Sie hatte die Krankheit überlebt, Vater und Mutter nicht. Nun hatte sie nur noch ihren Bruder Thomas, der vor Jahren nach London gegangen war. Denn nach Beendigung seiner Lehre als Kunstmöbeltischler in ihrem Heimatort Stamford, einer kleinen Stadt in Lincolnshire, hatte er keine Arbeit gefunden. Ihr Vater, der Schulmeister war, hatte gehofft, dass aus seinem Sohn einmal etwas Besseres als ein Handwerker werden würde. Doch Thomas’ Stärke hatte von jeher weniger in seinem Verstand als in seinen Händen gelegen. Er war künstlerisch begabt und verstand es, ein paar unscheinbare Holzbretter in ein edles Möbelstück zu verwandeln. Als der Vater schließlich feststellte, dass Kitty die rasche Auffassungsgabe und das gute Gedächtnis ihres alten Herrn geerbt hatte, die dieser sich eigentlich bei seinem Sohn gewünscht hätte, unterrichtete Marshall stattdessen seine Tochter in Lesen und Schreiben, Rechnen und Französisch. Er wusste zwar nicht so recht, was sie als Frau im späteren Leben mit diesen Fähigkeiten anfangen sollte. Doch immerhin konnte es für eine zukünftige Ehefrau und Mutter hilfreich sein, wenn sie etwas von Buchführung verstand. Ihre Französischkenntnisse würde sie dagegen kaum anwenden können.
    Bei dem Gedanken an ihren Vater, der ihre Klugheit stets mit so viel Stolz gelobt hatte, musste Kitty lächeln. Gleichzeitig traten ihr Tränen in die Augen. Ihre Zähne pressten sich in ihre Lippen, bis der Schmerz den Tränenfluss versiegen ließ. Wie durch einen Schleier betrachtete Kitty die kahlen Wände der Schlafkammer, in der sie stand. Bis auf den zerbrochenen Spiegel, den niemand haben wollte, einer Waschschüssel und einer Kanne aus Zinn war der Raum leer. Um die hohen Forderungen des Arztes zu bezahlen, hatten sie die Möbel und alles, was einen Wert besaß, verkaufen müssen. Von dem wenigen Geld, das nach der Bestattung der Eltern übrig blieb, würde Kitty zumindest einige Wochen ihren Lebensunterhalt bestreiten können.
    Auf der Treppe waren Schritte zu hören. Seufzend wandte sich Kitty ab und begegnete dem mitfühlenden Blick von Mistress Scroggs, der Nachbarin, die der Familie Marshall in den schweren Stunden beigestanden hatte.
    »Bist du sicher, dass du nach London fahren willst, Kitty?«, fragte die mütterliche Frau zweifelnd und strich mit den Händen abwesend über ihre Schürze. »Das Leben in einer so großen Stadt ist gefährlich für ein unerfahrenes Mädchen. Du bist doch erst siebzehn.«
    Mit einem gezwungenen Lächeln trat Kitty zu ihr und nahm mit einer dankbaren Geste ihre vor Sorge feuchten Hände. Die junge Frau konnte nicht leugnen, dass es ihr schwerfiel, ihre Heimat zu verlassen, und dass der Gedanke an die unsichere Zukunft sie mit Furcht erfüllte. Doch sie versuchte, ihre Gefühle zu überspielen, um es Mistress Scroggs nicht noch schwerer zu machen.
    »Ich bin ja nicht allein«, sagte sie beschwichtigend. »Thomas wird mir helfen, eine Anstellung als Dienstmädchen zu finden.«
    Die Nachbarin unterdrückte ein Schluchzen. »Dein Vater hatte sich so sehr gewünscht, dich gut zu verheiraten«, presste sie hervor. »Wie schmerzlich wäre es für ihn, zu wissen, dass du ein Leben als Dienstbote führen musst.«
    »Ein Mädchen ohne Mitgift ist nun einmal keine gute Partie«, konstatierte Kitty mit einem Sarkasmus, der ihr selbst fremd war.
    Ein wenig schockiert über die Offenheit des jungen Mädchens, sah Mistress Scroggs sie an. Bevor sie etwas sagen konnte, fügte Kitty mit einem Lächeln hinzu: »Vielleicht gelingt es
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