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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels
Autoren: Sandra Lessmann
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Endgültiges hatte, die weiße Mütze über das Gesicht, die man ihnen im Kerker aufgesetzt hatte. Blind und zitternd standen die drei noch einen Moment auf der Ladefläche des Karrens. Dann schwang der Scharfrichter die Peitsche, und die Pferde zogen an.
    Die Menge wurde still. Aller Augen richteten sich auf die im Todeskampf zuckenden Körper, als sich die Schlingen um die Hälse der Männer zuzogen und das Blut sich in ihren Köpfen zu sammeln begann. Ein kräftiger Bursche stürzte vor und hängte sich an die Beine des Knaben, um das qualvolle Sterben zu beschleunigen.
    Daniel nutzte die Ablenkung der Leute, um sich zum Galgen durchzudrängen. Ein starker Geruch nach Urin stieg ihm in die Nase, der von den Beinkleidern der Gehängten ausging. Einem Impuls folgend, hängte er sich mit seinem ganzen Gewicht an die Beine des Mannes, der seine Unschuld beteuert hatte, bis sich seine Glieder nicht mehr bewegten.
    Mit dem Tod der Verurteilten löste sich die Anspannung der Menge, und die Massen gerieten in Bewegung. Einige machten sich auf den Heimweg, andere hielten Ausschau nach einem fahrenden Händler, um noch schnell einen kleinen Imbiss einzunehmen. Ein Großteil jedoch blieb an seinem Platz und wartete auf den Moment, da die Hingerichteten vom Galgen abgeschnitten wurden. Dies geschah frühestens nach einer Stunde. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass die Gehängten auch wirklich tot waren. Dennoch kam es immer wieder vor, dass ein Verurteilter den Deckel seines Sarges öffnete und herauskletterte oder auf dem Seziertisch der Chirurgen wieder zu sich kam.
    Der Wagen, den die Gilde der Barbiere und Wundärzte regelmäßig nach Tyburn schickte, stand schon in einiger Entfernung bereit. Dem Gesetz nach stand den Chirurgen eine festgelegte Anzahl von Gehängten für ihre Vorlesungen zu.
    Eine zweite Brieftaube wurde freigelassen und machte sich auf den Weg zum Newgate-Gefängnis. Bald würde auch der Kerkermeister wissen, dass die Hinrichtung ohne Zwischenfälle verlaufen war.
    Daniel hatte die Beine des Gehängten losgelassen, blieb aber an seiner Seite stehen, ohne recht zu wissen, warum. Er hatte den jungen Mann aus der Provinz nicht näher gekannt, hatte ihn nur einige Male in einer Schenke in Covent Garden gesehen. Allerdings war Daniel einer der wenigen, die wussten, dass der Bursche bei seiner Rede die Wahrheit gesagt hatte. Man hatte ihn zu Unrecht verurteilt. Aber das war nun nicht mehr wichtig.
    Eine Balladenverkäuferin drängte sich durch die gaffende Menge und pries ihre Flugschriften an, auf denen die Geständnisse der Hingerichteten und der Bericht ihres verpfuschten Lebens für sechs Pence das Stück nachzulesen waren. Diese Geschichten wurden vom Ordinarius des Newgate verfasst, womit dieser sich ein stattliches Zubrot verdiente, denn besonders an den Hinrichtungstagen verkauften sich die Flugblätter wie warme Semmeln.
    Doch Lorraine war nicht der Einzige, dem sein Amt die Gelegenheit bot, nebenher ein gutes Geschäft zu machen. Nach jeder Hinrichtung versteigerte der Scharfrichter in einer nahe gelegenen Schenke die Galgenstricke in Stücken von einem Fuß Länge. Die schaurigen Andenken brachten viel Geld ein, denn die Leute glaubten, dass der Strick, mit dem ein Mensch gehängt worden war, Heilkräfte besaß. Man setzte ihn gegen Kopfschmerzen und Anfälle ein.
    Als die Toten vom Galgen geschnitten wurden, drängten Kranke und Entstellte zum Schafott und legten einige Münzen in die Hand des Henkers, damit dieser ihnen erlaubte, die Leichen zu berühren. Eine junge Frau entblößte ihre Brüste und strich mit den Fingern eines der Gehängten darüber, um ein Geschwür oder ein anderes Leiden zu heilen. Eine andere Frau brachte ihr Kind, dessen Gesicht von einem Ausschlag bedeckt war, zum Galgen und legte ihm die Hand des gehängten Knaben auf. Ein Mann behandelte auf dieselbe Weise seinen Kropf. Nach einer Weile war Arnets Geldbeutel wohlgefüllt. Als Letztes standen ihm noch die Kleider der Gehängten zu. Nachdem er die drei Leichen ausgezogen hatte, fuhr der Wagen der Chirurgengilde vor, und die Diener der Wundärzte luden eilig den Taschendieb und den Knaben auf, bevor die Menge ihnen die Beute streitig machte, denn nichts erschreckte die Menschen so sehr wie der Gedanke, nach dem Tod zerstückelt zu werden. Schließlich konnte nur ein unversehrter Körper beim Jüngsten Gericht auferstehen. Der Mann aus der Provinz wurde dagegen auf den Henkerskarren geladen. Er ging zurück
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