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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels
Autoren: Sandra Lessmann
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hübschesten Blumen hervor.«
    Ihr Blick wanderte über Kittys Gesicht und nahm den gesunden rosigen Farbton ihrer Haut, ihre ebenmäßigen Züge, die kornblumenblauen Augen, die schmale gerade Nase und die vollen Lippen in sich auf, aber auch die verblassten Pockennarben, die auf der rechten Schläfe und Wange zu sehen waren und der Gevatterin ein zufriedenes Brummen entlockten. Das Mädchen war etwa eine Handbreit größer als sie, ihr Körperbau schlank und von natürlicher Grazie, was die Augen der Alten während der eingehenden Begutachtung noch befriedigter leuchten ließ. Kittys Kleid war aus einfachem Leinen. Dazu trug sie eine Schürze und ein Halstuch, das züchtig den Ausschnitt bedeckte. Ihr honigblondes Haar war streng zu einem Knoten gebunden und wurde fast vollständig von einer schlichten Leinenhaube und einem daraufsitzenden Strohhut bedeckt.
    »Viele junge Mädchen kommen vom Land nach London, um hier eine Anstellung als Dienstmagd oder Stubenmädchen zu suchen«, bemerkte die Alte mit wissender Miene.
    Kitty errötete leicht, weil sie das unheimliche Gefühl beschlich, die Gevatterin habe ihre Gedanken gelesen.
    »Ich vermiete saubere möblierte Kammern für wenig Geld an anständige junge Mädchen und helfe ihnen, eine gute Stelle bei einer angesehenen Familie zu finden«, fuhr die Alte fort. »Wenn ich Euch zu Diensten sein kann, meine Liebe, so braucht Ihr es nur zu sagen. Zurzeit habe ich eine geräumige Kammer frei.«
    Kitty konnte ihr Glück kaum fassen, dass sie so kurz nach ihrer Ankunft jemandem begegnete, der ihr genau das verschaffen konnte, was sie suchte. Dabei hatte sie sich die Arbeitssuche viel schwieriger vorgestellt.
    »Ihr habt recht, Madam«, erwiderte sie. »Ich bin tatsächlich auf der Suche nach einer Anstellung. Aber ich brauche keine Kammer, denn ich habe einen Bruder hier in London. Falls ich jedoch nicht bei ihm wohnen kann, komme ich gerne auf Euer Angebot zurück.«
    »Das freut mich«, meinte die Gevatterin befriedigt. »Wenn Ihr mit mir kommt, zeige ich Euch mein Haus, damit Ihr wisst, wo Ihr mich findet. Auch würde ich Euch gerne eine Erfrischung anbieten. Die lange Reise hat Euch sicher erschöpft.«
    Bevor Kitty antworten konnte, trat eine der Reisenden an ihre Seite, mit der sie sich unterwegs angefreundet hatte. Mistress Webster war die Frau eines Uhrmachers, die in Stamford Verwandte besucht hatte.
    »Mistress Marshall, ein Geselle meines Gatten holt mich ab. Wenn Ihr möchtet, können wir Euch mitnehmen«, erbot sich Mistress Webster. Dabei warf sie dem Mädchen einen warnenden Blick zu. Verwirrt blickte Kitty sie an. Daraufhin nahm die Uhrmacherfrau energisch ihren Arm und zog sie in den Schankraum der Herberge.
    »Er wird gleich da sein. Wir setzen Euch dann bei Eurem Bruder ab«, sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. Auf Kittys fragenden Blick seufzte Mistress Webster tief und erklärte: »Das war Mutter Jolley. Sie führt ein verrufenes Haus in der Drury Lane und ist immer auf der Suche nach hübschen jungen Mädchen vom Land. Haltet Euch fern von ihrer Sorte!«
    Obwohl Kitty nur eine dunkle Vorstellung davon hatte, was in einem »verrufenen Haus« vor sich ging, begriff sie, dass Mistress Websters Eingreifen sie vor einer großen Dummheit bewahrt hatte.
    »Ich kann nur hoffen, dass Euer Bruder ein strenges Auge auf Euch haben wird«, sagte die Uhrmacherfrau inbrünstig und faltete die Hände.
    Nach einer Weile schaute der Geselle ihres Gatten in den verrauchten Schankraum, und die beiden Frauen folgten ihm erleichtert in den Hof. Mutter Jolley war verschwunden. Doch bei der Ankunft des nächsten Wagens aus der Provinz würde sie vermutlich wieder zur Stelle sein. Nachdem der Geselle Kittys Reisetruhe aufgeladen hatte, nahmen sie und Mistress Webster neben ihm auf dem Kutschbock Platz, und das Fuhrwerk setzte sich in Bewegung.
    »Wo wohnt Euer Bruder?«, fragte die Uhrmacherfrau.
    »Im Haus ›Zum Vogelkäfig‹ auf der Cock Lane nahe Smithfield«, antwortete Kitty. »Ist das weit von hier?«
    »Nein, nur ein paar Straßen gen Westen«, erklärte Mistress Webster.
    Aufgrund des dichten Verkehrs, der Kitty noch immer in Erstaunen versetzte, brauchte der Wagen eine halbe Stunde bis zur Cock Lane. Als der Geselle die Truhe vor dem Haus »Zum Vogelkäfig« abgeladen hatte, verabschiedete sich Mistress Webster von dem Mädchen.
    »Alles Gute, Mistress Marshall. Möge der Herr Euch schützen.«
    Kitty dankte ihr herzlich. Nachdem die
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