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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels
Autoren: Sandra Lessmann
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begegnete, blieb sie staunend stehen und beobachtete bewundernd, wie die Träger trotz des Gewichts der Sänfte im flotten Laufschritt die Straße entlangtrippelten. All die Pferde und Fußgänger wirbelten Staub vom Pflaster auf, der sich bald am Saum von Kittys Kleid absetzte. In der Mitte der Straße verlief eine recht tiefe Rinne, die mit allem erdenklichen Unrat, wie Asche aus den Herdstellen, Scherben und Küchenabfällen, verstopft war. Kitty entdeckte sogar Austernschalen und einen toten Vogel. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie selbst der stärkste Regenschauer diese Mengen Kehricht fortschwemmen sollte. Besonders in den engen Gassen hing der Gestank nach verrotteten Abfällen und Pferdemist in der Luft und mischte sich mit dem Rauch der Kohlenfeuer. Bei jedem Schritt bereute Kitty ihren Entschluss, zu Fuß zu gehen, ein wenig mehr und sehnte sich schmerzlich nach den blühenden und duftenden Wiesen Stamfords zurück.
    Da sie nun aber schon so weit gekommen war, riss sie sich zusammen und marschierte weiter den Holborn entlang, bog schließlich in die Drury Lane und dann in die Russell Street ein, wie Mistress Speering es ihr beschrieben hatte. Wenig später gelangte sie auf einen offenen Platz.
    Auf der Westseite fiel Kitty zuerst der klassische Portikus einer Kirche ins Auge. Auf den drei verbliebenen Seiten umschlossen hohe Reihenhäuser, deren Türen von eleganten Arkaden beschattet wurden, die Piazza, in deren Mitte sich teils leere Marktstände befanden. Das innere Quadrat mit einer Säule im Zentrum war zum Schutz der Passanten durch hüfthohe Pfosten von der vielbefahrenen Straße getrennt. Spaziergänger flanierten gemächlich unter den Arkaden, Kutschen und Sänften eilten vorüber.
    Kitty fühlte sich wie in eine andere Welt versetzt, in eine Stadt auf dem Kontinent, nach Rom oder Mailand, die sie selbst zwar nie gesehen hatte, aber aus den Erzählungen ihres Vaters kannte. Was sie sah, gefiel ihr. Nun konnte sie verstehen, weshalb ihr Bruder nach Covent Garden gezogen war. Aber wie sollte sie ihn finden?
    Die Marktstände, an denen vormittags frisches Obst und Gemüse feilgeboten wurde, waren zu dieser Tageszeit verlassen, aber in manchen der Buden arbeiteten Handwerker, die der Markt angezogen hatte. Allerorts hörten sie den meisten Klatsch und wussten daher am besten über das Kommen und Gehen der Leute in einem Viertel Bescheid. So fasste sich Kitty ein Herz, sprach einen Korbweber an und erkundigte sich nach ihrem Bruder. Unermüdlich ging sie von Töpfer zu Böttcher, von Messerschleifer zu Blechschmied und wiederholte immer wieder ihre Frage nach Thomas Marshall. Doch niemand schien ihn zu kennen. Sie ging von Schenke zu Weinstube, von Bierhaus zu Garküche, die es auf der Piazza und in den Nebenstraßen zuhauf gab, doch auch dort hatte sie keinen Erfolg.

4
    Erschöpft und hungrig und mit schmerzenden Füßen kehrte Kitty schließlich auf den Platz zurück. Nahe der Marktstände auf der Südseite der Piazza standen drei lange Holzhütten, die die Namen »White Horse«, »Green Man« und »Blackamoor« trugen. Im Vorbeigehen hatte Kitty gesehen, dass es sich bei der mittleren Baracke, dem »Green Man«, um ein Kaffeehaus handelte, das aber nicht besonders gut besucht schien. Aufgrund seines heruntergekommenen Aussehens hatte Kitty es bisher nicht gewagt, einzutreten. Doch inzwischen war sie bereit, nach jedem Strohhalm zu greifen. Zögernd stand sie vor dem Eingang, bevor sie sich überwand und über die Schwelle trat. Der Schankraum war verraucht. Im Gegensatz zu den Bierstuben, die sie an diesem Nachmittag bereits besucht hatte, saßen nur wenige Gäste auf den Bänken an groben langen Tischen, rauchten Pfeife und tranken aus flachen kleinen Schälchen Kaffee oder Kakao. Aber Kitty sah auch Trinkkrüge, in denen sich offenbar Gin oder Brandy befand. In einer Ecke hinter der Theke stand eine beleibte Frau von Mitte zwanzig mit einem breiten Gesicht unter einer groben Leinenhaube, deren Bänder unter dem fleischigen Kinn zusammengebunden waren. Ein Schankmädchen trat an die Theke, um eine jener Steingutschalen entgegenzunehmen, aus denen das türkische Gebräu getrunken wurde. Dann holte sie zwei Tonpfeifen aus einer Kiste, die unter der Theke bereitstand, und verteilte sie an die Gäste, die rauchen wollten. Vor dem Kamin, in dem ein prasselndes Feuer brannte, standen eiserne Kaffeekannen mit konischen Deckeln, während in einem Kessel, der über den Flammen hing,
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