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Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Sebastian Fleming
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heim, aß stumm mit Cosina, trank etwas Wein, zog sich in sein Atelier zurück und griff zu Feder und Papier, um an seinem Buch zu arbeiten.
    Am ersten Abend hatte er sich gefragt, womit er beginnen sollte. Mit zwei Männern, die auf dem Tempelberg in Jerusalem standen und auf eine große Baustelle hinuntersahen? Mit einem großen König und seinem legendären Architekten, denen von Moses die Geheimnisse des guten Bauens mitgeteilt worden waren, die der Prophet persönlich von Gott erhalten hatte? Denn es war doch einfach kindisch zu glauben, dass Gott ganze vierzig Tage benötigt hatte, um Moses auf dem Berg Sinai die zehn Gebote zu diktieren. Nein, mehr, viel mehr hatte er ihm offenbart, die ganze Architektur der Welt, samt ihren Prinzipien. Die Fedeli d’Amore glaubten oder wussten, dass Moses den geheimen Teil des Wissens, den Gott ihm auch verkündet hatte, in der Bibel, in den Apokryphen und in den inzwischen verschollenen oder für häretisch erklärten Texten verborgen hatte. Wie die Fedeli suchten viele nach den letzten Geheimnissen – die Alchemisten, die Astrologen und die Kabbalisten.
    Aber Giorgio Vasari war weder Theologe noch Historiker noch Philosoph. Die Auswertung und Entzifferung von Quellen und die Wege der Spekulation blieben ihm verschlossen. Er vermochte lediglich zu berichten, was er gesehen und gehört hatte, und auch das nur in den Kategorien der Kunst. Von allen Sprachen Gottes verstand er nur diese, dafür aber beherrschte er die Sprache der Kunst vollkommen.
    Als er sich nach vielen fruchtlosen Überlegungen auf sein Metier besann, wusste er es plötzlich, was er zu berichten, worauf er sich zu konzentrieren hatte. Er würde über alle schreiben, die der Wahnsinn befallen hatte, diese Kirche zu bauen, über all jene, die von ihren Leidenschaften und Eitelkeiten immer wieder zu diesem Teufelsloch, zu dieser Baustelle getrieben worden waren. Denn eines stand für ihn inzwischen fest, dass an diesem Ort Engel und Teufel ihren Schabernack und ihre ewigen Kämpfe austrugen mit den Menschen als Marionetten. Er war es jenen schuldig, die ihr Leben für dieses große Unternehmen hingegeben hatten: dem armen Bramante, dem großen Michelangelo, dem Princeps Concordiae, der schönen Imperia und natürlich auch dem bemitleidenswerten Giacomo il Catalano.
    Vom frühen Abend aber bis in die tiefe Nacht hinein stand er an seinem Schreibpult, tauchte die Feder in die Tinte, trieb wie besessen Buchstaben für Buchstaben über das Pergament, als ob jedes Wort, das er vollendete, sein Leben verlängern, Vergessen und Vergebung bringen würde. Am Morgen versteckte er stets das Geschriebene vom Vortage in einer verdeckten Röhre der Kuppel des Domes Santa Maria del Fiore, in dem Fresko des Jüngsten Gerichtes zu Füßen der Jungfrau Maria, die er als Himmelskönigin gemalt hatte. Zwei Engel mit Palmwedeln standen links und recht von der Stelle, wo Vasari hinter einem lockeren Stein das Manuskript in einer Nische verbarg. Auf der ersten Seite hielt er den Titel seiner Geschichte des Petersdomes fest:
    »Die wahre und tödliche Geschichte des Petersdomes, erzählt nach den Quellen, den Zeugnissen des göttlichen Michelangelo und dem eignen Erleben von Messèr Giorgio Vasari, Ritter vom Goldenen Sporn, Architekt des Petersdomes und Maler aus Arezzo, der in Florenz unter der guten Regierung des Francesco I. de Medici lebt und viele Jahre in Rom zugebracht hat, dargestellt nicht für jedermann, aber in Liebe zu Gott, in Furcht vor der heiligen Inquisition, den Fedeli d’Amore zum Gedenken.«
    Giorgio Vasari legte die Feder aus der Hand. Er fühlte sich müde. Hatte er sich überlebt, war er älter als die Zeit? Was konnte er noch schreiben? Vor ihm lag das Bundesbuch der Fedeli d’Amore , das durch so viele Hände gegangen war. Er schlug es auf und blätterte darin, bis zu der Seite der Priore. Da standen sie mit Namen: Meister Eckhart, Dante, Boccaccio, Brunelleschi, Pico della Mirandola, Bramante, Raffael, Antonio da Sangallo. Als er an Michelangelos Gegner dachte, öffnete sich die Tür zu seinem Arbeitszimmer.
    »Ich bin es wirklich«, sagte Isabella. Vasari rieb sich die Augen, dann bat er sie herein.
    »Ihr habt da etwas, das mir gehört. Ich möchte es zurückhaben!« Ihr Blick wies auf das Bundesbuch der Gefährten der Liebe. Sie legte den Mantel ab. Jetzt erst fiel ihm auf, dass sie Männerkleider trug, Hose, Hemd und Wams, dazu Stiefel. Sie nahm die florentinische Mütze ab, die so praktisch war,
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