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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
Autoren: Richard David Precht
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tatsächlich so ausgelegt. Sie schränken ein, dass es ja auch für Platon das ideale Leben niemals in Reinform geben kann. In jedem Leben treffen Menschen falsche Entscheidungen, geht etwas Wertvolles verloren, müssen edle Ideen zugunsten anderer zurückgestellt oder aufgegeben werden. Während ich an diesem Buch arbeite, kann ich die Zeit nicht mit meiner Frau verbringen oder mit meinen Kindern. Und ich rufe auch meine Freunde nicht an, die schon lange auf ein Zeichen der Aufmerksamkeit warten.
    Das Ideal des Guten ist also einerseits unerreichbar hoch und andererseits häufig widersprüchlich. Mag das Gute im abstrakten Sinne auch immer das Gute bleiben, was die richtige Entscheidung ist, dürfte sich von Situation zu Situation oft ändern. Insofern passen das Gute und das Richtige selten dauerhaft zusammen, wie man dem Zitat von Guy Rewenig, das diesem Kapitel vorangestellt ist, entnehmen kann.
    Nur wenn man wenig erlebt, hat man es halbwegs einfach, mit seinen Entscheidungen immer gut und richtig zu leben. Je weniger Chaos und Sozialleben um mich ist, umso leichter ist es mit dem Guten. Vielleicht ist gerade dies der Grund, warum so viele Prediger des Guten zugleich das Einfache loben. Jesus, Buddha und Franz von Assisi haben nicht nur die Moral aufgeräumt, sondern auch ihr Privatleben von allem Komplizierten
befreit. Und auch Platons Ethik ist eine Ethik für Klosterbrüder. Wie bereits gesagt, war sein Urteil über das politische Leben im Allgemeinen nicht sehr positiv. Und seine Schüler, die zukünftigen »Philosophenherrscher«, wurden ihrer Ausbildung nach eigentlich ziemlich »asozial« erzogen. Als Staatenlenker in spe glichen sie erleuchteten Gurus, die die Ideen schauen sollten wie die Sterndeuter die Sterne.
    Dass damit im Zweifelsfall nicht viel anzufangen ist, musste Platon am eigenen Leib erfahren. Im Alter von vierzig Jahren erhielt er ein denkwürdiges Stellenangebot. Möglicherweise war es die erste richtige Stellenausschreibung für einen Philosophen überhaupt. Und Platon griff sofort zu. Über die Vermittlung eines Freundes geriet er an den Hof des Tyrannen Dionysios I. in Sizilien. Was der Tyrann mit Platons Engagement bezweckt haben mag, liegt im Dunkeln. Wahrscheinlich wollte er sein zweifelhaftes Image in Athen aufpolieren, indem er sich mit einem der dortigen Superstars umgab. Platon selbst allerdings glaubte wohl eine Zeitlang, dass Dionysios sich von ihm in der Staatsund Lebenskunst unterrichten lassen wollte. Doch je mehr sich der Philosoph tatsächlich einmischte, umso ungehaltener wurde der König. Man kann sich die Situation kaum beklemmend genug vorstellen. Auf jeden Fall endete Platons Spagat zwischen der Poesie des Herzens und der Prosa der Machtverhältnisse schon nach recht kurzer Zeit. Auch zwei weitere Versuche mit Dionysios’ Sohn und Nachfolger schlugen 20 und 25 Jahre später kläglich fehl. Nur mit Mühe gelang Platon in beiden Fällen die Flucht zurück nach Athen.
    Doch sein Erfolg in der Heimatstadt war ebenfalls nicht der erwünschte. In hohem Alter wandte er sich noch einmal an die Athener Bürger, um ihnen mit einem Vortrag Über das Gute seine Einsichten nahezubringen. 4 Die Resonanz war Desinteresse und Ablehnung. Als der größte Philosoph des Abendlandes hochbetagt im Alter von achtzig Jahren starb, war seine moralische Revolution in Sizilien ebenso fehlgeschlagen wie in Athen.
Die Supermacht, überschuldet in sinnlosen Feldzügen, hatte abgedankt. Der attische Seebund, die NATO der antiken Welt, war zerfallen. Die makedonische Fremdherrschaft hatte begonnen, die Demokratie war abgeschafft. Statt des Geistes regierte die schnöde militärische Macht.
    Platons Idee des Guten jedoch lebte weiter fort. Und mit ihr der gewiss nicht ganz unheilvolle Gedanke, dass das Leben die Frage einer großen Wahl ist, der zufolge man sich »dem Guten« verschreiben soll. Wer das Gute wählt, der habe die Chance, ein vollkommenes Leben zu führen. Und wer diese Möglichkeit ausschlägt, der bleibt dumm, unmündig und sittlich unreif. Das Christentum wird diesen Gedanken von Platon übernehmen und den Menschen erneut vor eine moralische Wahl stellen. Glaubt er an Gott und hat er damit Teil an Gottes Güte, so lebt er ein gottgefälliges Leben. Tut er es nicht, so nimmt er die Verdammnis in Kauf. Es ist diese rigorose Wahl, die das Christentum (und in gleichem Maße den Islam) für viele Menschen heute so wenig akzeptabel macht: Ein gläubiger Verbrecher wird höher bewertet
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