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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein
Autoren: Tom Hodgkinson
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Arbeitsplatz, ein schnelleres Auto . . . Wie oft wir auch durch das Scheitern dieses Mythos, uns Befriedigung zu verschaffen, enttäuscht werden mögen – wir kehren doch immer wieder zu ihm zurück. Mit den Worten von Penny Rimbaud, dem Gründer der Punkband CRASS, »füttern wir die Hand, die uns beißt«. Wir bleiben unbefriedigt. Der Kapitalismus ist ständig und immerwährend enttäuschend. Das, was uns Freiheit verspricht, kann rasch zu dem werden, was uns unterdrückt.
    Angst bedeutet Aufgabe von Kreativität im Dienst der Sicherheit. Sie steht für den Verzicht auf persönliche Freiheiten im Austausch für das nie erfüllte Versprechen von Behaglichkeit, Baumwolle und klimatisierten Einkaufszentren. Sicherheit ist ein Mythos – es gibt sie nicht. Das hält uns jedoch nicht davon ab, ihr dauernd nachzujagen.
    Manche von uns empfinden eine Art Freude an der Angst. Vor kurzem saß ich neben einem freundlichen Mann von über sechzig Jahren im Speisewagen eines Zuges. Er fragte mich, ob ich einen Blick in seinen Evening Standard werfen wolle. Ich verneinte mit der Begründung, dass Zeitungen mich beunruhigten, weil sie mich mit einer Menge von Problemen konfrontierten, denen gegenüber ich völlig ohnmächtig sei. Er erwiderte: »Oh, ich bin gern beunruhigt. Dann kippe ich mir einen hinter die Binde!«
    Skandalöserweise werden wir vom medizinischen Dealer-Establishment noch immer in dem Glauben gewiegt, Herzkrankheiten könnten durch mechanische Verfahren vermieden werden, etwa dadurch, dass man aufhört zu rauchen oder dass man Giftpillen schluckt. Dabei liegt es eindeutig auf der Hand, dass die wahre Ursache von Herzkrankheiten ein besorgtes Herz ist.
    Müßiggang und Nichtstun – buchstäblich nichts tun – können beim Kampf gegen die Angst helfen. Eine mögliche Strategie besteht darin, sein Ich zu vergessen, es abzulegen und die Dinge durch sich hindurchfließen zu lassen. Das wird von Nietzsche empfohlen:
    Die Thüren und Fenster des Bewusstseins zeitweilig schließen; von dem Lärm und Kampf, mit dem unsre Unterwelt von dienstbaren Organen für und gegen einander arbeitet, unbehelligt bleiben; ein wenig Stille, ein wenig tabula rasa des Bewusstseins, damit wieder Platz wird für Neues, vor Allem für die vornehmeren Funktionen und Funktionäre, für Regieren, Voraussehn, Vorausbestimmen (denn unser Organismus ist oligarchisch eingerichtet) – das ist der Nutzen der, wie gesagt, aktiven Vergesslichkeit, einer Thürwärterin gleichsam, einer Aufrechterhalterin der seelischen Ordnung, der Ruhe, der Etiquette: womit sofort abzusehn ist, inwiefern es kein Glück, keine Heiterkeit, keine Hoffnung, keinen Stolz, keine Gegenwart geben könnte ohne Vergesslichkeit.
    Mit »Vergesslichkeit« meint Nietzsche die Fähigkeit, leben zu lernen. Die Erinnerung kann ein Feind sein. Wie oft liegen wir nachts wach und lassen uns all die Dinge quälend durch den Kopf gehen, die wir in Zukunft noch tun müssen oder die wir in der Vergangenheit falsch gemacht haben? Darum finde ich gemäßigte Besäufnisse wunderbar, solange die Qualität der Getränke hoch ist. Real Ale ist Kompost für die Seele. Aus dem gleichen Grund ist es wichtig, vernünftige Sachen zu lesen. Präge dir hochwertigen Stoff mit hochwertigen Bestandteilen ein. Eine Kost aus guten Schriften, ohne bescheuerte Zeitungen und Zeitschriften, welche die Angst nur erhöhen, bringt wertvolle Gedanken und einen unabhängigen, einfallsreichen Menschen hervor. Ernähre deinen Geist.
    Im Gartenbau kommt die weniger aufwendige Mulchtechnik in Mode. Dabei bedeckt man den Boden mit reichhaltigen organischen Stoffen, statt ihn mühsam alljährlich umzugraben. Das ist ein natürliches, kaum Arbeit erforderndes Verfahren. Es erlaubt der Natur, sich mit minimaler Einmischung durch den Menschen zu entwickeln. Das Gleiche gilt für deinen Geist: Mulche ihn mit hochwertigen Bestandteilen – Büchern, Lebensmitteln und Schönheit. Dann wird er fruchtbar und bringt nützliche und schöne Dinge hervor. Den Geist zu mulchen ist ebenfalls weit weniger arbeitsintensiv, als ihn umzugraben. Letzteres kann sogar schädlich sein, da es die Samen von Unkraut an die Oberfläche bringt, die sonst inaktiv geblieben wären. Diese Unkrautsamen keimen nun und sorgen für eine neue Ladung unnötiger Arbeit.
    Außerdem brauchen wir eine Diät aus anregender Gesellschaft, gutem Mut, Frohsinn und Spaß. »Guter Mut« oder, in der heutigen Umgangssprache, »mit seinen Kumpeln einen draufmachen«
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