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Die Kreuzfahrerin

Die Kreuzfahrerin

Titel: Die Kreuzfahrerin
Autoren: Stefan Nowicki
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November im Frankenland abgehalten werden, und an seinem Ende werde er, der Papst, selber zur Hilfe für Konstantinopel aufrufen. Andromikos war zufrieden, doch er wollte selber Zeuge des Aufrufs sein. So entschloss er sich, bis November im Norden zu bleiben. Dafür ritten sie nun seit Tagen durch diesen Regen. Andromikos formte leise vor sich hin murmelnd Verse auf die Schönheit, die Sonne und die Wärme Konstantinopels. Kaiser Alexios würde ihn empfangen wie einen siegreichen Heerführer, und er würde ihn belohnen. In Gedanken stellte er sich bereits das Gesicht seiner Frau vor, wie er ihr sagen würde, dass sie nun die Herrin eines großen Landgutes sei, mit allem, was dazugehörte. Dafür nahm er diesen Regen und auch die Übelkeit, die ihn auf der Überfahrt nach Griechenland sicher erneut heimsuchen würde, gerne in Kauf.
    Das Konzil in einer Stadt namens Clermont war beeindruckend gewesen. Nicht nur Bischöfe, Kardinäle und Äbte hatten sich dort versammelt. Auch eine Reihe weltlicher Würdenträger nahm daran teil, und unvorstellbar viele Priester, Mönche, aber auch jede Menge gemeines Volk aus allen Himmelsrichtungen waren dort zusammengekommen. Papst Urban hatte alles gut vorbereitet. Andromikos hatte in den Monaten zuvor vorsichtig Erkundungen einholen lassen. Man hatte ihm berichtet, dass landauf, landab Boten an allen Orten verkündet hatten, der Papst werde am Ende des Konzils etwas von großer Bedeutung verkünden. Voller Ungeduld und Erwartung waren sie schließlich auch in den Norden gereist. Am letzten Tag des Konzils war der Andrang so groß gewesen, dass der Papst seine Rede auf freiem Feld vor der Stadt halten musste. Man hatte dafür eiligst ein großes Podest erbaut. Die Menge, die sich davor versammelte, war von beeindruckender Größe gewesen. Andromikos durfte bei den Würdenträgern auf dem Podium sitzen. Papst Urban erhob seine Stimme und schilderte auf drastische Weise die Not der Glaubensbrüder im Osten. Er tadelte die Zustände im eigenen Land. Seine Schelte galt besonders den Rittern, die sich seit Jahren gegenseitig bekriegten. Er verdammte alle Christen, die sich gegenseitig niedermachten. Und immer wieder unterstrich er seine Worte mit dem Ausruf: „Gott will es!“ Gott will, dass Friede einkehre im Land, Gott will, dass kein Christ einem anderen Leid zufüge, Gott will, dass man stattdessen die Heiden und Muslime im Osten bekämpfe. Dies sei dann nicht nur ein gerechter Krieg, der Gottes Willen entspreche, sondern auch ein Akt der Buße all jener, die sich durch ihre Fehden im eigenen Land versündigt hatten. Allen, die zu dieser Buße bereit wären, würde er in seiner Macht als Oberhaupt der Kirche Nachlass aller Sünden gewähren. Gott will es! Dieser Ruf wurde von den Massen zu Fuße des Podiums aufgenommen, und jedes Mal, wenn Papst Urban Gottes Willen ansprach, antwortete die Menge so voller Inbrunst, dass sich Andromikos unter seinem Gewand sämtliche Haare aufstellten. Als der Papst geendet hatte, kniete ein Bischof vor ihm nieder und bat mit lauter Stimme, sich diesem Bußgang zur Befreiung der geschundenen Christen im Osten anschließen zu dürfen. Seinem Beispiel folgte eine ganze Reihe anderer Würdenträger, auch Adliger, und jeder wurde von der grölenden Menge mit dem Ausruf „Gott will es!“ gefeiert. Am selben Abend empfing der Papst Andromikos ein letztes Mal. Ein Bote brachte gerade die Zusage des Grafen von Toulouse, sich an dem Bußgang nach Konstantinopel zu beteiligen, und der Papst übergab Andromikos ein Schreiben an Alexios, das Byzanz zusicherte, im August des kommenden Jahres, am Fest der Himmelfahrt Mariens, werde sich ein Heer zur Unterstützung im Kampf gegen die Heiden und Muslime auf den Weg machen. Dieses Schreiben mit dem Siegel des Papstes trug Andromikos, in Leder gehüllt und vor Nässe sicher verpackt, seither bei sich. Als sie dann von Clermont aufbrachen, schien alles in Aufruhr. Nicht nur die Fürsten, auch jede Menge einfaches Volk machte sich bereit, zur Vergebung der Sünden nach Osten zu ziehen. Auf den Straßen verkauften Händler rote Stoffstreifen, die sich die Menschen als Kreuz an die Brust hefteten. Andromikos schien es, als wolle die gesamte Christenheit des Westens aufbrechen zur Pilgerfahrt.

Südfrankreich,
Dezember 1095
    Seine Heiligkeit war müde. Seit nunmehr über acht Monaten hatte er die Schuhe des Fischers gegen die Stiefel eines Vagabunden eingetauscht. Seit Piacenza war er von Burg zu Burg, von Kloster zu
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