Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kreuzfahrerin

Die Kreuzfahrerin

Titel: Die Kreuzfahrerin
Autoren: Stefan Nowicki
Vom Netzwerk:
und dran, ihr Bündel zu packen, als die Bäuerin nach ihr rief.
    „Ursula, wo bleibst du? Was hast du mit dem Eimer gemacht?“
    Ursula war zum Herdfeuer getreten. Ingrid rührte den allabendlichen Eintopf im Kessel. Dies schien ihre ganze Aufmerksamkeit zu fordern. Sie schaute nicht auf, als Ursula Auskunft gab: „Oh, den hab ich bei den Sauen stehengelassen.“ Zögerlich kam diese Antwort, und sie versuchte, mit gesenktem Haupt ihre Tränen zu verbergen. Die Bäuerin bemerkte aber nicht einmal das leichte Zittern in Ursulas Stimme. Der Dampf aus dem Kessel roch nach Knochen, Talg und Kräutern. Einen kurzen Moment atmete das Mädchen diese Mischung und spürte, wie ihr das Wasser im Mund zusammenlief, bevor Ingrids Worte sie mahnend fortschickten.
    „Ja, dann hol ihn rasch! Was soll er da draußen?“, befahl sie ohne aufzusehen.
    Ursula beeilte sich, den Worten der Hausherrin nachzukommen, und huschte erneut nach draußen. Sie betrat den Koben ohne Zögern. Sie wusste, Ludger würde dort nicht mehr stehen. Schnell griff sie sich den Eimer und eilte zurück ins Haus.
    Der Rest des Tages war angefüllt mit Arbeit, die Ursula, getrieben von ihrem schlechten Gewissen, beflissener als sonst verrichtete. Doch niemand kam, um sie zu schelten. Ludger sah sie an diesem Tag nicht mehr. Erst beim Abendbrot saßen sie dann zwangsläufig gemeinsam am Tisch. Nur einmal wagte sie, verstohlen in seine Richtung zu schauen, er schien sie aber nicht zu beachten. Innerlich atmete sie auf und nahm sich vor, noch mehr auf der Hut zu sein. Später, im Dunkeln auf ihrem Lager, kam ihr der Gedanke, dass Ludger trotz der Schelle so schnell nicht aufgeben würde.
    Ute, die Magd, lag neben ihr. Sie lauschte auf das gleichmäßige brummende Atmen der Schlafenden. In der Dunkelheit drückte sie ihr Gesicht etwas fester in das Lager, das Heu knisterte unter dem groben Sacktuch. Es roch nicht mehr frisch, sondern dumpf nach ihrem Schweiß und feucht-faulig. Wenn sie die Augen schloss, sah sie Ludgers Gesicht dicht vor sich. Seine feuchten Lippen, den flaumigen Bartwuchs, die Strähnen seines schulterlangen Haars, die teilweise sein Gesicht verdeckten. Die Erinnerung an seinen Blick, die Wärme seiner Hände und seiner Arme beunruhigten sie. Er hatte sie so an sich gedrückt, dass sie ihn von oben bis unten hatte spüren können, und dann hatte er nach ihrer Brust gegriffen. Ursula war sich der Veränderungen bewusst, die in den letzten zwei Jahren in ihr vorgegangen waren. Ihre Brust hatte irgendwann ganz von selbst angefangen anzuschwellen. Nun waren da zwei feste Hügel, an deren Spitzen sich dunkler ihre Brustwarzen erhoben. Letzten Sommer hatte sie zum ersten Mal geblutet. Ute hatte ihr geholfen und sie unterrichtet, dass die Schöpfung dies bei den Frauen so angelegt hatte. Sie hatte ihr gezeigt, wie sie sich ein gefaltetes Stück Stoff zwischen die Beine binden musste, um den Monatsfluss aufzufangen und ihre Arbeit verrichten zu können.
    „Du bist jetzt kein Mädchen mehr“, hatte sie ihr noch gesagt, doch was das bedeutet, wurde ihr nun erst klar. Die Erinnerung an Ludgers Nähe machte ihr Angst und erfüllte sie gleichzeitig auch mit einem anderen Gefühl, das ihr aber völlig fremd war. Sie spürte Wärme in ihre Wangen schießen und versuchte, sie mit den Handrücken zu kühlen. Sie drehte sich auf den Rücken und spürte dieselbe Hitze mitten in sich. Beunruhigt legte sie sich die Hände auf den Bauch und versuchte, den Drang, heftiger zu atmen, zu unterdrücken. In sich hineinhorchend fielen ihr schließlich die Augen zu.
    Ein blasser Schimmer über den Wipfeln des nahen Waldes kündigte den neuen Tag an. Die alte Ester war immer die erste, die frühmorgens durch das Haus schlurfte. Sie fachte das Herdfeuer an und schob den mit Wasser gefüllten Kessel über die auflodernden Flammen. Das war meist die Zeit, in der sich Ingrid zu ihr gesellte. Sie half der Alten, in einem weiteren Topf das geröstete und über Nacht gequollene Getreide zu einem Brei zu kochen. Die Handgriffe waren jeden Tag die gleichen, und kein Wort war zwischen beiden nötig. Die Geräusche, die sie machten, und der frische Rauch des Feuers weckten alle anderen. Nur die Kleinsten schliefen noch weiter und mussten später geweckt werden. Ute gab jedes Mal, wenn sie sich vom Lager erhob, Ursula einen kleinen Stoß, dabei wäre das gar nicht nötig gewesen, denn das Mädchen lag längst wach da und lauschte auf all die Geräusche des erwachenden Hofes. Nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher