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Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Rainer Siegel
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hattesie ihn zum ersten Mal gesehen: Er mochte siebzehn oder achtzehn Jahre gezählt haben, war größer als alle anderen Männer auf Restwangen und hatte Haare so blond wie die Strahlen der Sonne. Trotz der Entfernung von mehr als einem Dutzend Klaftern konnte sie seine leuchtend blauen Augen sehen. Mit einem anderen, jüngeren Pagen scherzend hatte er sich um ein Pferd gekümmert und mehrmals verstohlen zu ihr hinübergeblickt, sodass Franziska plötzlich spürte, wie sie errötete, und sich schrecklich albern vorkam. Natürlich hatte sie sofort kleine Nachforschungen über den Jüngling angestellt und erfahren, dass der junge Mann der Stiefbruder des frechen Karl war. So hatte sie die nächstbeste Gelegenheit genutzt, diesen geschickt auszufragen. Karl suchte seit Jahr und Tag am Freitagnachmittag das Haus des Rosshändlers Hermann auf, um dessen Aufzeichnungen zu überarbeiten und Geldfragen mit ihm zu besprechen. Es war zu einer festen Gewohnheit geworden. Gewöhnlich blieb er über Nacht und kehrte erst am Abend des Samstags wieder zurück zu seinem Herrn Zacharias. Bisweilen sah er an diesen Tagen auch bei Nele vorbei, sodass es nicht schwer gewesen war, ihn zu einem Gespräch zu verlocken, zumal Karl sich gern in der Nähe der Näherinnen aufhielt.
 
    »Ich war zehn Jahre alt, als Ludwigs – eigentlich heißt er ja Louis – Vater mich adoptiert hat. Meine Mutter war Mameluckin und lebte mit mir in Akkon im Heiligen Land. Leider wurde sie bei einem Aufstand betrunkener Söldner getötet, und ich habe mir das hier eingehandelt.« Er hob seinen rechten Arm, und Franziska betrachtete die künstliche Hand aus gemasertem Holz, die an seinen Unterarm geschnallt war. Bisher hatte sie sich nie getraut, den jungen Mann zu fragen,wie er dazu gekommen war. »Im Orient hätte ein arabisch aussehender Junge mit fehlender Hand nur geringe Überlebenschancen gehabt. Das Abhacken der Rechten ist dort die Strafe für ertappte Diebe, selbst wenn es sich dabei um Kinder handelt.« Er lächelte tapfer, als Franziska ein kleiner Schrei entfuhr.
    »Oh, es gibt dort noch schlimmere Strafen, zum Beispiel für das Begaffen unbekleideter Damen: Man schneidet dem Täter …« Er grinste, als Franziska ihn unterbrach. »Ist ja gut, so genau will ich es gar nicht wissen. Doch erzähle, wie seid ihr denn nach Budweis gekommen?«
    »Möchtest du die kurze oder die lange Fassung hören?«
    »Erst mal die kurze, auf mich wartet noch Arbeit. Auf dich übrigens auch, nehme ich doch an.«
    »Wie wahr, der Rosshändler braucht einiges an tatkräftiger Unterstützung. Also will ich mich kurz fassen. Henri de Montardier, Ludwigs Vater, Kreuzritter und Diplomat, diente in Akkon und war anerkannter Unterhändler zwischen den Ritterorden und dem Sultan von Ägypten. Ein großartiger Mann! Als Akkon kurz vor dem Fall stand, organisierte er die Ausreise der Frauen und Kinder. Wir drei Geschwister, also Louis, die kleine Marie und ich, Chalil, genannt Charles, wurden mit meiner Adoptivmutter Catherine de Montardier nach Zypern geschickt und sollten von dort weiter nach Europa reisen. Louis sollte bei Siegfried von Restwangen seine Pagen- und Knappenzeit verbringen, da Henri den alten Siegfried kannte und dessen Enkel Bero unter ihm dem Heiligen Kreuz diente.«
    »Und wo sind eure Eltern jetzt? Hier in Budweis ja wohl nicht, das wüsste ich doch.«
    »Das ist der traurige Teil der Geschichte. Catherine wurdeauf Zypern von einem Unbekannten ermordet. Und als die Kunde vom Fall Akkons nach Zypern drang, ernannte man Rochus von der Enns, einen Mann, der in Henris Diensten stand, zu unserem Vormund. Er hat uns hierhergebracht.«
    Franziska sah, wie schwer es dem sonst so fröhlichen Jungen fiel, von dem gewaltsamen Verlust zweier Mütter zu sprechen, und ein kurzer Schmerz durchfuhr sie, als sie an den frühen Tod ihres eigenen Vaters dachte. Sie wollte nicht tiefer in Karl dringen, doch der junge Mann erzählte freimütig weiter.
    »Henri ist wohl in Akkon gefallen, wie fast alle Männer, die bis zuletzt dort ausharren mussten. Ich wundere mich ja, wie Bero von Restwangen es aus dieser Hölle geschafft hat. Aber, wer weiß? Vielleicht hatte er einfach Glück oder einen eifrigen Schutzengel. Jedenfalls landete Louis als Page bei Siegfried und Marie in einem Dominikanerinnenkloster unweit von hier. Meine Talente hingegen lagen im Erlernen von Sprachen und besonders in der Mathematik«, fügte er ohne falsche Bescheidenheit hinzu. »Deshalb hat mich der
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