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Die Knochenkammer

Titel: Die Knochenkammer
Autoren: Linda Fairstein
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drückte sie an meine Lippen. »Gute Nacht, Jake. Ich bin froh, dass du hier bist. Das bedeutet mir mehr, als ich sagen kann.«
    Ich sah ihn an, während ihm die Augen zufielen und er sich in eine bequeme Schlafposition zu bringen versuchte. Ich wusste, wie viel Glück ich hatte, einen Partner zu haben, der Verständnis für meine anspruchsvolle Arbeit hatte. Die meisten meiner Freunde und Bekannten wunderten sich über meine Berufswahl, aber Jake verstand, welch große emotionale Befriedigung ich aus meinem Job zog.
    In Nächten wie diesen musste ich selbst immer nachdenken, was mich auf einen so ungewöhnlichen Beruf vorbereitet hatte. Ich war in einer bürgerlichen, äußerst privilegierten und starken Familie aufgewachsen. Meine beiden älteren Brüder und ich waren noch klein gewesen, als mein Vater, Benjamin Cooper, zusammen mit seinem Partner mittels einer genialen Erfindung das Feld der Herzchirurgie revolutioniert hatte. Die Cooper-Hoffman-Klappe, ein winziges Plastikröhrchen, war über fünfzehn Jahre lang nach ihrer Einführung ein entscheidender Bestandteil bei jeder Herzoperation im Land gewesen. Dennoch blieben er und meine Mutter mit beiden Beinen auf der Erde, zogen uns drei in einem Vorort in Westchester County auf und legten großen Wert auf eine hervorragende Schulbildung und gesellschaftliches Engagement.
    Nach meinem Studium am Wellesley College, wo mein Hauptfach Anglistik gewesen war, hatte ich sie überrascht, als ich an die Universität von Virginia ging, um Jura zu studieren. Danach wollte ich eine Zeit lang in der besten Bezirksstaatsanwaltschaft des Landes arbeiten, unter der Leitung eines Bezirksstaatsanwalts, dessen Integrität legendär war. Ich wollte ursprünglich nur ein paar Jahre bleiben und dann in eine Privatkanzlei wechseln, aber Paul Battaglias innovative Ansätze zur Verbrechensbekämpfung verhalfen mir zu einer einzigartigen Position innerhalb der Anwaltsgemeinde.
    Battaglias Behörde hatte als erste eine spezielle Abteilung für Gewaltverbrechen gegen Frauen und Kinder eingerichtet. Jahrzehntelang hatte man Opfern sexueller Gewalt den Zugang zu Gerichten verwehrt und Vergewaltigungen und Fälle von Missbrauch anders als andere Verbrechen behandelt. Auf Grund von Mythen und Missdeutungen in der Gesetzgebung, die die Vereinigten Staaten vom britischen Common Law adaptiert hatte, war die Aussage einer Frau juristisch nicht ausreichend, um ihren Fall vor Gericht zu bringen. Die Gesetzgebungsreformen der sechziger und siebziger Jahre resultierten jedoch in der Bildung von speziellen Einheiten bei Polizei und Staatsanwaltschaft, in neuen Beweissammlungstechniken und fortwährenden Anstrengungen, um Verbesserungen im Strafrechtssystem zu erwirken. Niemand hatte diese Veränderungen unerschrockener umgesetzt als Paul Battaglia.
    Ich war vor zwölf Jahren Mitglied seiner Anwaltsriege geworden und befördert worden, diese spezielle Einheit zu leiten. Als ich das erste Mal eine Vergewaltigung vor den Geschworenen verhandelte, waren meine drei Lieblingsbuchstaben des Alphabets - DANN - trotz der ein paar Jahre zuvor erfolgten Sequenzierung noch nicht weit genug entwickelt beziehungsweise in Wissenschaftler- und Anwaltskreisen noch nicht ausreichend akzeptiert, um die forensischen Resultate zu liefern, die für die Opfer so entscheidend waren. Heutzutage machten wir nicht nur täglich davon Gebrauch, um Männer zu entlasten, die fälschlicherweise eines Verbrechens angeklagt worden waren, sondern wir errangen Erfolge bei der Verfolgung von Mord- und Sexualdelikten, die noch vor einem Jahrzehnt unmöglich gewesen wären.
    Diese Erfolge, diese Tage, an denen es uns gelang, einem Gewaltopfer Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen, machten jeden Augenblick dieses Jobs für mich und meine Kollegen zu einer Freude. Solche Erfolgserlebnisse wogen schwerer als ein Abend wie dieser, wenn der Verlust eines Menschenlebens all unsere gute Arbeit schier zu überwältigen schien.
    Jake rührte sich und drehte sich wieder auf die Seite.
    »Du schreibst doch nicht etwa schon das Schlussplädoyer in dem Prozess über die Leiche, die ihr heute Nacht gefunden habt? Du hast noch keinen Angeklagten. Komm schon, Alex. Mach Schluss für heute.«
    Ich schloss die Augen und kuschelte mich an ihn.
    »Hast du Newark gesagt?«
    »Newark was?«
    »Als ich dich vor ein paar Minuten gefragt habe, ob du mit Thibodaux downtown gefahren bist, um euch die Leiche anzusehen, hast du da gesagt, dass ihr in Newark gewesen
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