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Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)

Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)

Titel: Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
Autoren: Zoe Archer
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Wochen. Zu spät.«
    Huntley hatte sich gefreut, nach England zurückzukehren, und es fiel ihm noch etwas schwer, sich gleich wieder von seiner Heimat zu verabschieden. Von seinem Ausscheiden aus der Armee besaß er etwas Geld, aber er bezweifelte, dass es für eine Reise ans andere Ende der Welt reichte. Als Soldat konnte man nicht reich werden, doch vielleicht zog es gerade deshalb so viele leichtsinnige Narren zur Armee. Er war einer von ihnen. Als ahnte er, was Huntley einwenden wollte, fügte Morris hinzu: »In meiner Manteltasche. Meine Papiere. Nehmen Sie meinen Platz auf dem Schiff.«
    Huntley schwirrte der Kopf von den Erlebnissen der letzten Stunde, und so nickte er nur stumm. Dann kam ihm ein Gedanke. »Ich bezweifle«, sagte er, »dass mir dieser Mann, Burgess, glauben wird, wenn ich mit dieser etwas lächerlichen … verschlüsselten Nachricht vor seiner Tür stehe, und behaupte, dass Sie … « Obwohl beiden klar war, dass Morris die Gasse nicht lebend verlassen würde, brachte er den Satz nicht zu Ende.
    Morris’ Augen lagen tief in den Höhlen und blickten ins Leere. Huntley konnte ihn kaum verstehen, als er sagte: »In der Innentasche meiner Weste.«
    So vorsichtig er konnte, griff Huntley in die Innentasche von Huntleys Weste und zog einen kleinen runden Metallgegenstand hervor: einen Kompass. In der dämmerigen Gasse erkannte er lediglich winzige Gravuren auf dem Deckel, konnte die Sprache jedoch nicht entziffern. Er nahm an, dass es sich um Griechisch, Hebräisch oder vielleicht Sanskrit handelte, mit dem er sich ein bisschen auskannte. Er öffnete den Deckel. Jede Himmelsrichtung wurde von einer anderen Klinge repräsentiert: dem Pugiodolch römischer Soldaten, dem Florett europäischer Duellanten, dem Krummsäbel aus dem Nahen Osten und dem gefährlich gebogenen Kris aus Ostindien. In der Mitte des Kompasses befand sich eine klassische englische Rose. Aufgrund des Gewichts vermutete Huntley, dass es sich um ein sehr wertvolles altes Stück handelte. Wie duftender Rauch schienen leise Stimmen aus der Vergangenheit daraus aufzusteigen, die ihn stärker als jede Sirene an ferne Küsten lockten. Außergewöhnlich.
    »Geben Sie den Burgess.« Morris atmete flach. »Sagen Sie ihm ›Ewig ist der Norden‹, dann weiß er Bescheid.«
    »Das mache ich, Morris«, erklärte Huntley aufrichtig und ernst.
    »Danke«, keuchte er. »Danke.« Er schien sich endlich zu entspannen und sich nicht länger gegen das Unvermeidliche zu wehren.
    »Gibt es noch jemand anders, den ich benachrichtigen soll? Ihre Familie vielleicht?«
    »Nein, niemanden. Meine einzigen Verwandten … erfahren es früh genug.« Bei diesen Worten lief ein Zucken durch Morris, sein Körper bäumte sich ein letztes Mal auf und klammerte sich an die vertraute Welt. Beinahe entglitt er dabei Huntleys Armen, und aus seiner Kehle löste sich ein erstickter Laut. Dann sackte er mit offenen Augen zurück. Es war vorbei.
    Huntley blickte hinunter in das Gesicht des toten Mannes. Morris konnte nicht älter als vierzig oder fünfundvierzig Jahre sein. Ein gesunder Mann, kein Berufssoldat, aber gut in Form. Er war edel gekleidet, ohne dabei protzig zu wirken. Die Qualität seiner Kleidung ließ auf einen Lebensstandard schließen, den sich nur wenige leisten konnten. Huntley nicht. Es schien entwürdigend, dass Morris’ Leben nach einem unfairen Kampf so plötzlich in einer schmutzigen Gasse endete.
    Huntley schloss Morris Augen. Er seufzte. Nein, er hatte sich noch nicht an den Tod gewöhnt, egal wie vertraut er war.
    Zwei Stunden später stand Huntley an Deck der Frances und sah zu, wie sich die Lichter von Southampton in der Nacht immer weiter entfernten.
    Schon wieder Adieu, dachte er.
    Nach Morris’ Tod hatte Huntley die Reisepapiere aus seiner Tasche geholt und festgestellt, dass das Schiff in Kürze auslief. Es blieb keine Zeit, die Polizei zu verständigen, denn das würde mit Sicherheit ein langes Verhör nach sich ziehen. Womöglich hätte er bis zur Aufklärung des Mordes das Land nicht verlassen dürfen. Das konnte Wochen dauern, und Morris hatte ihm versichert, dass ihm nicht viel Zeit blieb. Also hatte Huntley Morris’ Leiche vorsichtig auf den Boden gelegt und den Mantel des Mannes über sein Gesicht gezogen. Überall an seiner Kleidung klebte Morris’ Blut. Blutbefleckt ein Schiff zu besteigen, schien ihm weder eine angenehme Vorstellung noch sehr passend. Er hatte in seinem Gepäck frische Kleider zum Wechseln gefunden, die
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