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Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)

Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Tereza Vanek
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das Fell heruntergerissen wurde. Allmählich kamen auch Knochen zum Vorschein. Sobald der Leichnam auf dem Bratspieß steckte, triefte Fett wie Eiter aus ihm heraus. Bald schon bohrten gierige Zähne sich hinein, Knorpel knirschten, Sehnen platzten, und der Gestank des Todes lag in der Luft.
    Obwohl Adelind diesen Ekel gegen einen köstlich duftenden Braten nicht nachzuvollziehen vermochte, stand jene Schwester, die nur wenige Momente nach ihr das Licht der Welt erblickt hatte, ihr so nahe, dass sie ihn einen Wimpernschlag lang ebenfalls empfand.
    Sie wandte kurz den Kopf. Alle Nonnen waren damit beschäftigt, ihre Mägen zu füllen, und gaben dabei vor, dem Bibeltext zu lauschen. Niemand sah in ihre Richtung.
    Adelind bewegte die Lippen, ohne einen Laut von sich zugeben. Sie wusste, dass Hildegard dennoch verstehen würde.
    » Mach die Augen zu und schluck es schnell. Versuch, dabei an etwas Angenehmes zu denken. Das Stück ist nicht groß, und bald schon ist nichts mehr von dem Braten übrig. Spül es mit dem Wein hinunter! «
    Hildegard biss tapfer zu und begann zu kauen, während ihr Tränen in die Augen schossen. Adelind entspannte sich ein wenig. Der Tag versprach friedlich auszuklingen, doch da presste Hildegard plötzlich eine Hand vor den Mund, als wolle sie ihren Körper daran hindern, die unerwünschte Nahrung wieder auszuspucken.
    » Lass das! Mutter Mechtildis sieht zu uns herüber! « , gab Adelind ihr rasch zu verstehen. Es war ihr in der Aufregung nicht ganz gelungen, auf ein paar Laute zu verzichten, und sie spürte den Blick der Äbtissin vorwurfsvoll auf sich ruhen. Rasch senkte sie den Kopf. Eine Weile blieb es still. Sie sah aus den Augenwinkeln, wie die Äbtissin sich wieder Schwester Juliana zuwandte, und atmete erleichtert auf. Wenn Hildegard nur endlich den Braten herunterwürgen würde, konnte der Rest des Abends durchaus angenehm verlaufen, denn es war ihnen aufgrund der Eiseskälte gestattet worden, die Gebete für das Komplet als auch für die Nokturn in ihrem Schlafsaal zu sprechen.
    Hildegard ließ ihre Hand sinken, tat ein paar tiefe Atemzüge und führte nochmals ein Stück Braten zum Mund. Ihre Augen waren diesmal fest geschlossen, wie Adelind ihr geraten hatte. Sie biss ein Stück ab und presste ihre Lippen aufeinander. Adelind konnte an ihrer Kehle die Schluckbewegung erkennen. Sie schöpfte Hoffnung. Wenn der harte Winter lang andauerte, würde an den Fleischvorräten ohnehin bald gespart werden, was in Hildegards Augen zu den Vorteilen dieser Jahreszeit gehörte. Adelind hatte gerade nach dem Weinkrug gegriffen, um sich nochmals einzuschenken, als sie eine Bewegung an ihrer Seite wahrnahm. Hildegards Kopf hing nun so dicht über dem Teigfladen, dass sie ihn fast mit der Stirn berührte. Die Hand klebte wie festgewachsen vor ihrem Mund.
    » Sag, dass du zu den Latrinen musst, wenn dir übel ist. Schnell! «
    Hildegard gehorchte, indem sie sich erhob und mit der freien Hand schnell das übliche Zeichen machte. Noch bevor Mutter Mechtildis ihre Zustimmung gegeben hatte, war sie schon aus dem Refektorium verschwunden. Adelind nahm ein unheilverkündendes Stirnrunzeln auf dem Gesicht der Äbtissin wahr und begann im Geiste zu beten, dass Hildegard für ihr Verhalten nicht durch langes Liegen auf kalten Steinfliesen bestraft würde. Sie schien in den letzten Wochen zunehmend blass und mager. Auch hatte sie sich noch nie zuvor nach dem Essen von Fleisch übergeben müssen. Nur einmal, als Mutter Mechtildis sie gezwungen hatte, eine ganze Schüssel voll fetter Krusten hinunterzuwürgen, war Hildegard anschließend fast bis zum Abendmahl auf der Latrine gesessen, obwohl am Ende nur noch Galle aus ihrem Magen quoll. Schwester Brigitta, die für die Krankenpflege zuständig war, hatte anschließend gemeint, dass fettes Fleisch Hildegard wohl wirklich nicht gut tat. Deshalb blieb ihr seitdem wenigstens diese Tortur erspart.
    Schwester Juliana hatte das Lesen beendet und beeilte sich, schnell noch ein paar Speisereste zu ergattern.Von dem Braten war nichts mehr übrig. Adelind erhob sich, neigte respektvoll den Kopf, um dann Hildegards Fleischstück mitsamt dem Fladen in Julianas Richtung zu schieben. Sie vermutete, dass die Äbtissin durchaus froh wäre, wenn ihr Liebling nicht völlig leer ausging, und behielt recht. Mutter Mechtildis protestierte nicht. Nachdem Schwester Juliana sämtliche Knochen abgenagt und selbst das Mark aus ihnen gesaugt hatte, leckte sie sich genüsslich die Finger.
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