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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin
Autoren: Iny Lorentz
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als Mädchen nicht tun solltest, wirst du zwanzig Paternoster beten.«
    Giulia war froh, dem Pater und ihrem Vater entkommen zu können, und lief eilig den Hang hinab. Pater Lorenzo sah ihr nach, bis sie zwischen den Häusern verschwunden war, und drehte sich dann zu Fassi um. »Es ist wirklich bedauerlich, dass Eure Tochter kein Knabe ist, Meister Girolamo. Sie wäre eine Zierde für unseren Chor.«
    Er hielt kurz inne und schüttelte seufzend den Kopf. »Gott verleiht seine Gaben an die Menschen oft in einer Weise, die von uns Sterblichen nicht zu verstehen ist. Deine Tochter überschüttet er mit diesem großen Talent, obwohl es ihr höchstens Unglück bringen kann, während er es anderen, die es dringend nötig hätten, bedauerlicherweise vorenthält.«
    »Ich bitte Euch, ja, ich flehe Euch an, über das Ganze zu schweigen!« Giulias Vater hielt nun die Angst in den Klauen, er und seine Tochter könnten der Hexerei bezichtigt werden, denn er erinnerte sich allzu gut daran, dass die alte Lodrina Giulia schon mehrmals bezichtigt hatte, eine Hexe zu sein. Aber zum Glück hatte bisher noch niemand auf sie gehört.
    Pater Lorenzo hob in einer beruhigenden Geste die Hände. »Seid unbesorgt, Meister Girolamo. Bei mir ist dieses kleine Geheimnis sicher. Ihr solltet jedoch in Zukunft darauf achten, dass sich Eure Tochter nur noch mit den Melodien beschäftigt, die sich für eine Frau geziemen.«
    »Ich werde darauf achten, ehrwürdiger Vater.« Fassi versuchte, seine Unsicherheit zu verbergen, denn er wusste genau, dass er dieses Versprechen nicht würde halten können, ohne Giulia vierundzwanzig Stunden am Tag in einen dunklen Keller zu sperren. Selbst darin würde sie noch singen, dessen war er sich sicher.
    Pater Lorenzo merkte nichts von seinen Gewissensqualen. »Was habt Ihr eigentlich mit Eurer Tochter vor?«
    Fassi blickte unwillkürlich zur Burg hoch, sagte sich jedoch, dass er dem frommen Mann wohl kaum von seinen Träumen berichten konnte, Giulia dem Grafen als Mätresse anzudienen. Umständlich schnäuzte er sich, um Zeit zum Nachdenken gewinnen, und zuckte dann hilflos mit den Schultern. »Ich wollte sie mit Graf Gisibertos Protektion als Gesellschafterin bei einer Dame von Stand unterbringen. Sie könnte dieser auf der Laute vorspielen und ihr heitere Weisen vorsingen. Meine Frau Maria hingegen würde sie am liebsten mit dem Nächstbesten verheiraten, sobald sie mannbar geworden ist.«
    Pater Lorenzo wiegte den Kopf. »Was für eine Verschwendung für dieses außergewöhnliche Talent.«

V .
    G iulia war wütend auf sich selbst und auf ihren Vater, gleichzeitig fühlte sie sich hilflos und ausgeliefert. Wäre sie ein Junge, würde man ihr all das erlauben, was man ihr verbot und für das man sie schlug, und man wäre sogar stolz auf sie. Sie ärgerte sich, so unvorsichtig gewesen zu sein und beim Olivenhain gesungen zu haben. Damit hatte sie jede Möglichkeit verloren, den Proben des Chores zu lauschen. Am meisten aber erschütterte sie die Reaktion ihres Vaters. Er hatte ihr bis heute höchstens mal einen Klaps versetzt, der nicht sonderlich wehgetan hatte. Aber jetzt schmerzte ihr Kopf bis in den Nacken, und um ihre Augen bildeten sich dunkle Ringe. Beim Olivenhain hatte sie ihren Vater nicht wiedererkannt, geradeso, als wäre ein böser Geist in ihn gefahren und hätte ihn in einen Dämon aus ihren Albträumen verwandelt.
    Ihr Zorn war so groß, dass sie als Erstes in das Zimmer ihres Vaters stürmte, dort die mühsam vor ihrer Mutter gerettete Notenschrift packte, sie in die Küche trug und in die Glut der Herdstelle warf. Mit einer gewissen Befriedigung sah sie zu, wie das Papier sich zuerst wellte, dann an mehreren Stellen braun wurde und zuletzt Feuer fing. Sie hatte ihrem Vater helfen wollen, damit er mit seiner Melodie das Gefallen des Grafen fand. Doch jetzt war es ihr egal, ob er sich blamierte oder nicht. »Giulia, bist du es?«, hörte sie die Mutter mit klagender Stimme rufen. Für einen Augenblick überlegte sie, sich nicht zu melden. Doch dann schob sie ihr Kinn vor und eilte in das Zimmer ihrer Mutter.
    Maria Fassi saß schweißdurchnässt in ihrem Bett und atmete schwer. »Mir geht es nicht gut. Hole Assumpta. Und dann lauf zu Dottore Bramontone, damit er mir Arznei schickt.«
    Angesichts des schlechten Zustands ihrer Mutter vergaß Giulia ihren Zorn und rannte los. Sie fand Assumpta hinter dem Haus beim Hühnerfüttern. »Komm schnell zu Mama. Sie ist sehr krank und verlangt nach dir. Ich
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