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Die Juliette Society: Roman (German Edition)

Die Juliette Society: Roman (German Edition)

Titel: Die Juliette Society: Roman (German Edition)
Autoren: Sasha Grey
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beugt sich hinunter bis an mein Ohr, und ich höre ihn flüstern: »Kannst du mich spüren?«
    Sein Griff wird noch fester.
    Dann wird alles um mich herum schwarz.
    Das nächste, an das ich mich erinnere, ist, dass ich auf dem Rücken liege und auf ein Stück weiten, grenzenlosen Himmel schaue, der sich von Horizont zu Horizont erstreckt. Keine Sonne, kein Mond, keine Wolken. Obwohl die Farben matt, ausdruckslos und eintönig wirken, sieht es aus, als würde sich der Himmel über mir wölben, als würde ich auf die Krümmung der Erdoberfläche schauen. Ich spüre eine leichte Brise auf meinem Körper, aber noch kann ich nicht sagen, ob ich mich unter Wasser befinde oder durch die Luft schwebe.
    Geisterhafte, weiße Möwen kreisen über mir wie Wächter. Und wenn ihre Flügel an den Spitzen nicht wie in Tusche getaucht aussähen, hätte ich sie wohl bloß für Mouches volantes gehalten, die daher rühren, dass ich zu lange in das unendliche Blau gestarrt habe. Sie steigen vor meinen Augen auf, einige größer als andere, auf kollidierenden Flugbahnen in verschiedenen Höhen, obwohl es so aussieht, als bevölkerten sie alle dieselbe Ebene. Ich sehe eine Schar Stare kreuz und quer über den Himmel schießen wie einen Fischschwarm, der in Sekundenschnelle wendet, um die Strömung zu erwischen.
    Ich hebe den Kopf und sehe mich um. Ich liege nackt auf einer großen, steinernen Plattform, die sich nur knapp dreißig Zentimeter über den Boden erhebt. Eine rubinrote Seidenrobe mit aufwendigen Goldstickereien ist wie ein Laken unter mir ausgebreitet. Meine Arme stecken halb in den beiden Ärmeln der Robe. Um die Plattform herum befinden sich, soweit das Auge reicht, reihenweise leere Zuschauertribünen.
    Mir wird schwindlig, also lasse ich den Kopf wieder sinken. Ich blicke hinauf in den Himmel und fühle mich, als würde ich fliegen, als schwinge ich mich mit den Vögeln auf in die Atmosphäre. Ich spüre, dass etwas in meinem Hals steckt. Es fühlt sich an wie eine Feder. Es kitzelt mich in der Kehle und blockiert sie zugleich. Ich bekomme keine Luft und gerate in Panik. Ich würge bei dem Versuch, es loszuwerden. Es kommt zwar nichts aus meinem Hals, aber was auch immer es gewesen sein mag, jetzt ist es weg, und ich schnappe nach Luft, als wäre es der erste Atemzug, den ich je getätigt habe. Als wäre ich gestorben und wiedergeboren. Doch zusammen mit dem Atemzug wird meine Kehle von einem brennenden Schmerz erfasst, der sich bis in meine Brust und die Lunge ausbreitet, als atme ich Feuer.
    Und ich glaube, Jack zu hören, der mir zuflüstert: »Du bist angekommen.«
    Ich schlage die Augen auf, um ihn zu begrüßen. Ich warte, bis ich wieder klar sehen kann und merke, dass es gar nicht Jack ist, auch nicht der Fremde mit der Maske, sondern Bob, der sich da über mich beugt. Sein Gesicht liegt im Schatten. Bob ist der Mann hinter der Maske. Und ich weiß nicht, warum, aber ich bin überhaupt nicht überrascht.
    Ich sehe, wie er den Arm hebt. Dann spüre ich ein stechendes Brennen an meiner Wange, als er mich schlägt. Mein Kopf schnellt zur Seite wie an einer Sprungfeder.
    Er packt mein Kinn, dreht mein Gesicht wieder zu sich und schlägt mir erneut ins Gesicht. Fester diesmal.
    »Wach auf!«, ruft er. »Sterben kannst du ein andermal.«
    Ich schaue ihn an und sehe für den Bruchteil einer Sekunde nur sein Gesicht, bevor alles verschwimmt und mir die Tränen in die Augen steigen.
    Er greift nach meinen Handgelenken, jedoch nicht, um mich daran zu hindern, zurückzuschlagen. Stattdessen führt er meine Hände an seinen Hals.
    Er sagt: »Tauschen wir. Würg mich.«
    Seine Hände sind auf meinen. Meine Hände sind an seinem Hals.
    Er sagt: »Fester.«
    Und ich drücke zu.
    Er sagt es noch einmal.
    »Fester.«
    Mein »fest« ist ihm offenbar nicht fest genug.
    Er wiederholt seine Aufforderung, und diesmal schreit er sie, immer und immer wieder. Wie ein Trainer, der seine Sportler anfeuert.
    »Fester.«
    Ich handle ohne nachzudenken.
    »Fester.«
    Ich drücke fester zu.
    »Fester.«
    Seine Hände lösen sich von meinen und er lässt sie sinken. Ich drücke weiter zu.
    »Fester.«
    Es fühlt sich an, als versuche ich, eine Schraube zu drehen, die schon bis zum Kopf in der Wand sitzt. Aber ich will sie so festziehen wie möglich, und eine weitere Umdrehung mit dem Schraubenzieher kostet mich alle Kraft.
    Ich sehe, wie sein Gesicht rot anläuft.
    Ich drücke noch fester zu.
    Seine Lippen bewegen sich, aber es kommt kein Ton
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