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Die Judenbuche

Die Judenbuche

Titel: Die Judenbuche
Autoren: von Anette Droste-Huelshoff
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Blaustrümpfe aus. Dort heißt es über ein schreibendes adeliges Fräulein, das seiner Schöpferin in mehr als einem Punkt ähnelt, es scheine »ihr auch so gar nichts daran gelegen, ob sie verstanden wird oder nicht: mit ein paar Worten, mit einer Zeile könnte sie zuweilen das Ganze klar machen, und sie tuts nicht«. Im Gegenteil: Anhand eines Vergleichs der Druckfassung mit den handschriftlichen Vorstufen der Judenbuche hat man Droste-Hülshoffs Bemühen nachweisen können, im Laufe der Überarbeitungen gezielt Informationen zu streichen und Sachverhaltezu verundeutlichen. Die ›Verdunkelung‹ des Textes, die ihn vielerorts rätselhaft macht, ist also nicht etwas, was der Autorin unterläuft oder von ihr in Kauf genommen wird, es handelt sich vielmehr um eine bewußte Strategie.
    Sie steht in engstem Zusammenhang mit einem weiteren Thema, das der Text behandelt. Auch die Figuren der Erzählung haben es ständig mit Indizien und Spuren zu tun. Das verbindet die Judenbuche mit dem Genre der Detektivgeschichte. Zwei Morde sollen aufgeklärt werden, und in beiden Fällen scheitert das Erkenntnisstreben der Figuren. Die Zeichen nämlich, die über das Geschehen Auskunft geben könnten, sind unzureichend oder irreführend: Die »Anzeigen«, wie die Indizien hier heißen, erscheinen als »so schwach, daß [. . ] man doch nicht mehr als Mutmaßungen wagen konnte« – ein Satz, den sich auch die Interpreten der Erzählung selbst gesagt sein lassen sollten. Verhöre und Geständnisse führen gleichfalls nicht weiter, wie denn überhaupt die Kommunikation in der Judenbuche weithin im Zeichen von Mißtrauen, Täuschung und Beeinflussung steht. So wird hier in sehr grundsätzlicher Weise die Frage nach dem Zugang zur Wirklichkeit und ihrer Erkenntnis gestellt. Die Antwort ist, wenn nicht pessimistisch, doch skeptisch. Die Figuren leben in einer Welt, die ihnen in wesentlichen Teilen undurchschaubar bleibt. Der Text aber erhebt sich nicht über diesen Sachverhalt, sondern stellt ihn dar und vollzieht ihn in seinem Erzählverfahren mit. Die Schwierigkeiten der Erkenntnis der Wirklichkeit, von denen der Text spricht, spiegeln sich auch in der Art des Erzählensselbst. Bereits das mottoartige Einleitungsgedicht weist darauf hin und plädiert indirekt für erzählerische Bescheidenheit. Wie die dargestellte Welt für die Figuren in vielem unerkennbar ist, so bleibt daher auch die Erzählung dem Leser oftmals dunkel. Auf der Ebene der Darstellung setzen sich derart die Schwierigkeiten der Suche nach Wahrheit und jene unabgeschlossene Rekonstruktion der Wirklichkeit fort, in die die Figuren verstrickt sind. Die Erzählweise des Textes, der keine definitiven Antworten anbietet, sondern nur Fragen, Möglichkeiten und Versionen, erweist sich als genaue Entsprechung der erkenntniskritischen und erkenntnisskeptischen Problemstellungen, die auf der Handlungsebene aufgeworfen werden.
    Und natürlich betrifft das auch und gerade die Fragen der Weltdeutung überhaupt und damit der Metaphysik. Über das, was nicht klar sein kann, weil es nur begrenzt erkennbar ist, lassen sich auch keine klaren Aussagen treffen. Die Metaphysik scheint – und das ist für die Epoche der Restaurationszeit durchaus typisch – brüchig geworden zu sein, geschlossene Weltbilder haben offenbar ihre Plausibilität eingebüßt, eine homogene, in sich stimmige Welt kann nicht mehr erzählt werden.
    So hat es die Judenbuche mit sehr grundlegenden Fragen zu tun. Die irritierende skeptische Offenheit und die hohe literarische Komplexität, mit der sie behandelt werden, sind sicherlich wesentliche Gründe für die Faszination, die bis heute von diesem Text ausgeht.

Zu dieser Ausgabe
    insel taschenbuch 4541: Text und Zusammenstellung folgen der Ausgabe: Annette von Droste-Hülshoff, Die Judenbuche. Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2005 (it 3096).
    Der Text der Judenbuche folgt der Ausgabe: Annette von Droste-Hülshoff, Sämtliche Werke in zwei Bänden. Herausgegeben von Bodo Plachta und Winfried Woesler. Band 2: Prosa, Versepen, Dramatische Versuche, Übersetzungen. Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main 1994. Der Text erschien erstmals 1824 im Morgenblatt für gebildete Leser.
    Die »Geschichte eines Algierer-Sklaven« wird zitiert nach: Annette von Droste-Hülshoff, Die Judenbuche. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1999.
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