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Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)

Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)
Autoren: Z. A. Recht
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ein Affe. Das die Wunde umgebende Blut lässt drauf schließen, dass es vor seinem Tod passiert ist. Die Wunde wirkt weder lebensbedrohlich noch infiziert.«
    Dr. Mayers Blick nahm den Brustkorb der Leiche in Augenschein. Dort stieß er auf das bisher verwirrendste Element.
    » Der Brustkorb weist drei Schusswunden auf«, sprach er in das Aufzeichnungsgerät. Dann verstummte er. Er begutachtete die Wunden eine Weile, dann packte er die Schulter des Toten und drehte ihn auf die Seite. Er untersuchte den Rücken und fand zwei Austrittswunden. Eine der Kugeln steckte noch irgendwo im Inneren des Mannes. Doch waren es nicht die Wunden an sich, die Dr. Mayer interessierten, sondern die Tatsache, dass sie nicht von Blut umgeben waren.
    Dr. Mayer hustete und räusperte sich.
    » Schusswunden im Brustkorb scheinen post mortem erfolgt zu sein«, sagte er. Und erneut hielt er inne. Kurz darauf streckte er den Arm aus und schaltete den Rekorder ab.
    » Das ist komisch«, sagte er vor sich hin, ohne die Leiche aus den Augen zu lassen. » Warum schießt man jemandem in die Brust, wenn man ihn schon mit einem Kopfschuss getötet hat?«
    Dr. Mayer brütete eine Weile vor sich hin, dann schien er den Gedanken aufzugeben. Er schaltete den Rekorder wieder ein.
    » Fahre fort, indem ich den ersten Probanden zwecks Bestätigung der Todesursache öffne«, sagte er und nahm ein Skalpell vom Instrumentenwägelchen. Er richtete die Klinge auf den Brustkorb der Leiche. Dann verharrte er einige Zentimeter von ihr entfernt. Neben den Schusswunden waren auf dem Brustkorb des Mannes noch andere Stichmarkierungen zu sehen. Sie waren kleiner und sauberer. Und ebenfalls unblutig.
    Dr. Mayer hatte Wunden dieses Typs schon einmal gesehen. In Europa hätte man sie vielleicht mit einer Stichverletzung durch ein Stilett oder eine andere zylindrische Klinge in Verbindung gebracht. Hier in Afrika gab es auf dem Land bestimmte Stämme, die leichtgewichtige Jagdlanzen verwendeten. Er wusste nicht, wie man sie nannte oder herstellte; er wusste nur, dass sie aus dünnem, biegsamem Holz bestanden und an die Zweige einer Trauerweide erinnerten. Hin und wieder bekam er einen Fall, in dem ein Stammesangehöriger bei der Jagd versehentlich so ein Ding abbekommen hatte– oder vielleicht auch absichtlich, wenn es sich um einen konkurrierenden Stamm handelte. Die Wunden, die er an seinem gegenwärtigen Probanden sah, sahen ebenso aus.
    Für Dr. Mayer war dies ein Rätsel innerhalb eines Rätsels. Der vor ihm liegende Mann war nach seinem Tod erstochen und erschossen worden. Klaus Mayer wusste jedoch hundertprozentig, dass die Polizei von Mombasa besser bewaffnet war als ihre Kollegen auf dem Land. Sie hatten keine solchen Lanzen, mit denen dieser Mann aufgespießt worden war. Und warum hätten sie ihn auch aufspießen sollen, da sie ihn doch längst getötet hatten?
    Die Antwort war einfach, wenn auch nicht logisch: Der Mann war nach seinem Tod von Eingeborenen angegriffen worden. Dann war es ihm irgendwie gelungen, sich zum Flughafen durchzuschlagen, wo er Radau gemacht hatte und niedergeschossen worden war. Und während der ganzen Zeit war er tot gewesen.
    » Es muss doch eine vernünftige Erklärung dafür geben«, sagte Dr. Mayer. Er warf einen Blick auf den Rekorder und machte sich klar, dass er vom Thema abgeschweift war. » Lokalisiere kleine Stichwunden im Brustkorb des ersten Probanden, die vermutlich nicht von einer Schuss-, sondern von einer Stichwaffe hervorgerufen wurden. Auch diese Wunden sind post mortem entstanden. Wie sie entstanden sind, kann ich nicht erklären.«
    Obwohl Dr. Mayer den Hauptteil der Autopsie noch nicht in Angriff genommen hatte, war er bereits frustriert.
    Hoffentlich konnte der Zustand der restlichen Leichen diesen Fall ein wenig erhellen.
    22 . 34 Uhr
    Hinter Dr. Mayer lagen drei der sechs Autopsien. Er fühlte sich noch immer frustriert. An zwei weiteren Leichen hatte er vergleichbare postmortale Wunden entdeckt. Manche waren Schusswunden, andere waren auf Lanzen zurückzuführen. Dann hatte er sich in der Hoffnung, an einem der Opfer der Attacke neue Hinweise zu finden, den toten Sicherheitsleuten zugewandt.
    » Vierter Proband ist männlich, Anfang bis Mitte dreißig, in gutem körperlichen Zustand. Keine auffälligen Kennzeichen.«
    Dr. Mayer untersuchte die Wunden des Wachmannes. Dabei machte er große Augen. Diese Männer trugen die Uniform der Flughafen-Sicherheit. Das Verbrechen, um das es ging, war offenbar von den
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