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Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)

Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)
Autoren: Z. A. Recht
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hat sie dazu gebracht?«
    » Vielleicht hatten sie Hunger«, erwiderte ein anderer Polizist. » Jetzt, da der Kannibalismus verboten ist… und bei der Bevölkerungssituation im Dschungel ist es doch kein Wunder, dass sie versuchen, sich in der Stadt ’ne Mahlzeit zu holen.«
    Mbutu sah krank aus. » Wie kann man über so was Witze reißen?«
    » Wer reißt denn hier Witze?«, sagte der Polizist. » Wir haben diese Stämme in letzter Zeit immer öfter in der Stadt gesehen. Sie protestieren gegen das Alkoholverbot und singen Lieder, laut denen auch sie essen müssen.«
    » Da kommt der Leichenbeschauer«, sagte sein Kollege und deutete in die Ferne. Eine Ambulanz zockelte über das Rollfeld auf sie zu. Scheinwerfer und Sirene waren ausgeschaltet. Schließlich brauchte man sich kein Bein mehr auszureißen, wenn die Patienten bereits tot waren.
    » Hierher! Kommt hierher!«, wies der Beamte sie an und winkte dem Fahrer, wo er anhalten sollte. Als der Wagen stoppte, flog die Hecktür auf. Weiß gekleidete Sanitäter sprangen heraus. Sie zogen Transportliegen hinter sich her.
    » Wie viele sind es?«, fragte jemand.
    » Sechs«, sagte der Polizist.
    » Heilige Scheiße«, keuchte ein Sanitäter, als er die Leichen sah. » Was ist passiert?«
    » Mach dir deswegen keine Sorgen«, sagte der Polizist. » Schafft sie nur hier weg. Da oben kreist eine Maschine, die landen muss.«
    Mbutu hätte gern etwas zu dem Thema gesagt, dass man angesichts der Toten ein wenig Respekt hätte zeigen können, doch er schwieg. Wie an vielen Orten der Erde war ein Leben hier nicht viel wert.
    Die Sanitäter luden die Leichen auf Transportliegen, schoben sie in verschließbare dunkle Kunststoffsäcke und stapelten sie wie Kaminholz im hinteren Teil des Ambulanzfahrzeugs.
    » Wir geben Ihnen Bescheid, sobald wir wissen, was hier los war«, sagte der Polizist zu Mbutu, bevor er in den Streifenwagen stieg, um der Ambulanz zu folgen.
    » Gut«, murmelte Mbutu leise. Die Fahrzeuge verschwanden in der Ferne. Er stand nun allein auf dem von der heißen Sonne beschienenen Rollfeld. Der einzige Beweis für die kürzlich erfolgten Gewalttaten waren ein paar Blutflecke am Rand des Asphalts. » Tun Sie das, Officer. Tun Sie das.«
    Mombasa Hospital
    9 . Dezember 2006
    20 . 13 Uhr
    Dr. Klaus Mayer war allgemeinmedizinischer Chirurg und gehörte zum Stab des Mombasa Hospital. Er war Mitte dreißig und aus seiner österreichischen Heimat nach Afrika gekommen, um ein soziales Jahr zu absolvieren. Er war der Meinung, dass er hier etwas Bedeutendes leisten konnte. Den Beweis dafür sah er jeden Tag, wenn seine Patienten ihm dankten oder wenn er eine Schwester antraf, die genau die Verfahren anwandte, die er sie gelehrt hatte.
    Heute Abend schob er Dienst in der Leichenhalle. Das Krankenhaus litt unter Personalmangel, so dass jeder Arzt irgendwann einmal eine unbesetzte Position einnehmen musste. Dr. Mayer saß an der Anmeldung vor der doppelten Schwingtür der Leichenhalle und kritzelte Bemerkungen in die Akte eines Patienten. In wenigen Minuten würde die Polizei bei ihm auftauchen und ihm sechs Leichen übergeben. Allem Anschein nach hatte es am Flughafen einen Vorfall gegeben. Die Polizei hatte sich geweigert, ihm irgendwelche Einzelheiten zu nennen.
    Spielt aber keine Rolle, dachte er. Die Autopsie wird mir schon zeigen, was passiert ist.
    Er tippte seufzend mit dem Kugelschreiber auf die Akte. Dies hier war ein härterer Fall: Eine ältere Frau war an Malaria erkrankt. Ihr Immunsystem mühte sich ab, die Krankheit abzuwehren. Sie hatte sich zweimal fast erholt, war aber immer wieder zusammengebrochen. Sie hatte zwei Töchter. Beide hatten ihre eigene Familie und waren bettelarm. Die große Familie war auf das Geld angewiesen, das die alte Dame als Näherin verdiente. Auch wenn die erwachsenen Familienangehörigen und einige der Kinder jeden Job annahmen, den sie bekamen, reichte ihr Einkommen kaum zum Leben. Auch wenn es herzlos klang: Die Familie konnte es sich einfach nicht leisten, die Mutter zu verlieren.
    Inzwischen habe ich mich zwar an diese Dinge gewöhnt, dachte Dr. Mayer, aber ich weiß nicht, ob es mich beruhigt oder mir Angst macht.
    Er hörte das Bimmeln der Aufzugglocke am anderen Ende des Korridors. Dann das Geräusch der sich öffnenden Tür. Er hob den Blick und sah uniformierte Polizisten aus dem Lift treten. Sanitäter begleiteten sie. Sie schoben Transportliegen vor sich her.
    » Ah, sehr gut«, sagte Dr. Mayer auf Deutsch. Er stand
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