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Die Jagd auf die Venus

Die Jagd auf die Venus

Titel: Die Jagd auf die Venus
Autoren: Andrea Wulf
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und Vorschriften bewegte. Schließlich musste die Académie in Paris intervenieren, und nach wochenlangem Warten konnte Pingré am 9. Januar 1761 endlich in See stechen  – ihm blieben nur noch vier Monaten und achtundzwanzig Tage bis zum Transit. Ref 33
    Nachdem seine kostbare Ausrüstung sicher verstaut war, wandte Pingré seine Aufmerksamkeit nun der nächstwichtigen Frage zu, dem Essen. Er erkundigte sich beim Kapitän nach der Verpflegung an Bord, füllte sein Tagebuch mit einer detaillierten Liste der in der Schiffsküche vorhandenen Vorräte: Käse, Schinken, Pökelfleisch, Pastete und so fort, erfuhr aber zu seiner Enttäuschung, dass es nur eine Mahlzeit pro Tag gab. Die erste Nacht auf See war rau. Die meisten Passagiere »zollten der See Tribut«. Dank seinem robusten Magen blieb Pingré zwar die Seekrankheit erspart, er schlief aber schlecht wegen der Gichtschmerzen im rechten Fuß. Überdies musste er im Dunkeln liegen, denn um keine Feinde anzulocken, durften sie während der Nacht weder Lampen noch Kerzen anzünden. Seine kleine Kabine war nur durch provisorische Trennwände vom Kanonendeck abgeteilt  – die Kanonen hinter der dünnen Wand waren ein greifbarer Beweis, dass die See ein heiß umkämpftes Gebiet war. Aber Pingré war vorbereitet. Er hatte einen Pass, den die Royal
Society in London von der britischen Admiralität für ihn hatte ausstellen lassen: einen Generalbefehl an alle britischen Schiffskommandanten, »unter keinen Umständen ihn selbst oder seine Habe anzutasten«. Er reise im Namen der Wissenschaft, und die britischen Kapitäne, so der Befehl, seien gehalten, den Franzosen »ohne Verzug oder Störung gewähren zu lassen«.
    An seinem ersten Morgen auf See hörte Pingré die Rufe der Seeleute, während sie in der Takelage arbeiteten. Der Wind blähte die weißen Segel. Die schwer beladene Comte d’Argenson durchschnitt mit ihrem Bug die grauen Wogen und zog einen ephemeren Schweif aus weißem Schaum hinter sich her. Als der Kapitän plötzlich einige Befehle brüllte, lief eine Kakophonie von lauten Stimmen, trappelnden Füßen und klirrendem Metall durch das Schiff. Nur zwei oder drei Meilen entfernt war eine Flotte von fünf britischen Kriegsschiffen gesichtet worden, die einen Angriff vorbereiteten. Als der Kapitän seine Leute an die Kanonen schickte, rissen sie die neuen Trennwände nieder. Gepäck, Holz, Seile und Kanonenkugeln fielen chaotisch durcheinander. Die Passagiere mussten mitansehen, dass dort, wo eben noch ihre Kabinen gewesen waren, schwere Geschütze in Stellung geschoben wurden. In einem letzten Versuch, ein Gefecht zu vermeiden, ließ der Kapitän kreuzen. Stundenlang fuhren sie im Zickzackkurs über die See  – die Briten dicht hinter ihnen. Immer wenn sie glaubten, sich etwas vom Feind abgesetzt zu haben, tauchten weitere britische Schiffe auf. Zwischen Mittag und frühem Abend zählte Pingré acht neue Schiffe. Dann wurde es Nacht, und plötzlich schlug der Wind um, sodass es ihnen schließlich gelang, sich in der Dunkelheit davonzumachen. »Die Vorsehung«, schrieb er in dieser Nacht in sein Tagebuch, hatte sie entkommen lassen, »ohne dass ein Schuss fiel«. Ref 34
    Nach diesem glücklichen Rückzug verlief die Reise relativ ereignislos. Gelegentlich erblickten sie feindliche Schiffe in der Ferne, aber es gelang ihnen stets, einen Kampf zu vermeiden. In den ersten Wochen, als seine Begeisterung für die Reise noch
nicht durch die Untätigkeit gedämpft wurde, erfreute Pingré sich an der Musik und dem Tanz der Seeleute, die das ganze Schiff in »einen großen Ballsaal« verwandelten. Als aber ein Tag wie der andere verstrich, ohne dass das Geringste passierte, wurde Pingré von grenzenloser Langeweile ergriffen. Er aß, beobachtete den Nachthimmel und angelte. Der sonst so freundliche und gesellige Astronom fühlte sich gelangweilt von den anderen Passagieren, überwiegend Angestellte der Compagnie des Indes. Es wäre besser, meinte er, »allein zu sein als in Gesellschaft von Leuten, die man nicht mag«. Es gab nicht genug Bücher, dafür zu viel Lärm und keinen Platz zum Spazierengehen. Das Leben an Bord war so öde, dass ein anderer Passagier meinte, er wäre lieber Gefangener in der Bastille.
    Nur gelegentlich wurden diese sich scheinbar endlos hinziehenden Tage durch Neues unterbrochen. Eines Morgens entdeckte Pingré beispielsweise, dass sie ihren Karten nach über das feste Land der Kapverdischen Inseln gesegelt waren, und meinte scherzend
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