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Die Jagd auf die Venus

Die Jagd auf die Venus

Titel: Die Jagd auf die Venus
Autoren: Andrea Wulf
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bestand
die einzige Möglichkeit darin, mit einem kleinen einheimischen Boot nach Rodriguez zu segeln, einer nahe gelegenen Insel, die vor allem wegen ihrer Schildkröten bekannt war. Keine Ideallösung, denn nach Le Gentils Berechnungen würde die Sonne auf Rodriguez während des Transits sehr niedrig stehen. Das würde die Beobachtungen erschweren, weil der Horizont »immer dunstig und mit dicken Wolken bepackt ist«. Das Klima von Rodriguez verhieß ebenfalls nichts Gutes, weil der Himmel, wie man ihm sagte, während des Monsuns oft bewölkt war. Aber er habe keine Wahl, erklärte er, weil »ich hier ohne jede Hoffnung bin«.
    Auch abgesehen von den Sorgen um die Transit-Beobachtung, war Gentils tägliches Leben während der nächsten Monate auf Mauritius unerfreulich. Da Pondichéry von den Briten belagert wurde, konnten keine Lieferungen aus Indien eintreffen, und die korrupten Beamten der Compagnie des Indes in Mauritius verkauften die noch in ihren Lagern verbliebenen Güter zu absurd überhöhten Preisen. »Das Leben ist entsetzlich teuer«, schrieb Le Gentil nach Paris, wobei er sich besonders über die Weinpreise beklagte. Zusätzlich wurde er durch eine hartnäckige Ruhrerkrankung geschwächt und litt unter der feuchten Luft, die wie ein dickes Tuch über der Insel lag. Er war sich sicher, dass seine Krankheit auf die Enttäuschung zurückging. »Ärger und Sorge« wegen der Transit-Beobachtungen hatten ihn krank gemacht. Ref 29
    Als Le Gentil den Plan fasste, nach Rodriguez zu segeln, hatten die Mitglieder der Académie in Paris ironischerweise gerade beschlossen, auch Alexandre-Gui Pingré nach Rodriguez zu entsenden. Mit seinem scheinbar nie versagenden Talent, Probleme anzuziehen, war es Le Gentil gelungen, sich aus den unendlichen Weiten des Ozeans ausgerechnet jenes winzige Fleckchen Land herauszusuchen, das die Akademiemitglieder für einen anderen französischen Beobachter bestimmt hatten. Durch reinen Zufall waren zwei Beobachter, die eigentlich so weit wie möglich voneinander
getrennt sein sollten, im Begriff, sich aufeinander zu zubewegen.
     
    Die Mitglieder der Akademie hatten den Sommer und Herbst 1760 gebraucht, um zu entscheiden, wohin sie Pingré schicken wollten. Während dieser Wochen hatten zwei französische Astronomen  – mit Hilfe von Pingré selbst  – einen Bericht für den Außenminister und für König Ludwig XV. aufgesetzt, in dem sie die Bedeutung der Expeditionen darlegten. Le Gentils früher Aufbruch sei ein Beweis für den »Eifer« der Akademie, hieß es dort, aber die Franzosen könnten noch mehr tun. Der Transit sei ein »kostbarer Augenblick«, machte ein anderer Astronom in einem weiteren Bericht geltend, und wenn man ihn nicht nutzte, würde man nie in der Lage sein, die verschenkte Gelegenheit wieder wettzumachen. Das vergangene Jahrhundert habe sie um diesen Augenblick »beneidet«, und die »Zukunft« würde jene tadeln, die ihn missachtet hätten.
    Zunächst hatte die Akademie gehofft, Pingré zu einem der portugiesischen oder holländischen Häfen entlang der afrikanischen Südwestküste schicken zu können  – beispielswiese nach Luanda in Portugiesisch-Angola oder zu einem Hafen in Holländisch-Guinea. Mehrere Orte wurden in Erwägung gezogen und von allen Seiten beleuchtet, etwa im Hinblick auf Pingrés Reisemöglichkeiten, auf Wettervorhersagen und vorhandene Infrastruktur. Überall, so der Bericht, sei das Klima »gefährlich für Ausländer«. Man müsse unbedingt zwei Forscher entsenden, weil Pingré, falls er sterbe, »ersetzt werden muss«. Tapfer erklärte Pingré, er sei »von diesen Gefahren nicht beunruhigt«, die Académie solle daher die »Risiken« für sein persönliches Wohlergehen nicht berücksichtigen. Ref 30
    Der 48-jährige, gichtkranke Pingré war auf den ersten Blick ein denkbar ungeeigneter Kandidat für eine so gefährliche Expedition. Sein beleibter Körper und sein pausbäckiges Gesicht ließen auf ein heiteres Naturell und ein sinnliches Vergnügen an den
guten Dingen des Lebens schließen. Er war ein Universalgelehrter und ordinierter Priester, der Theologie studiert und gelehrt hatte, aber auch über Sprachwissenschaft, Musik, Poesie und, natürlich, Astronomie schrieb. Allerdings verbarg sich hinter seinen freundlichen und lebhaften Augen ein sehr eigenwilliger Charakter. In der Vergangenheit hatte er seine Kirche so sehr mit seinen unorthodoxen Auffassungen erzürnt, dass sie ihn in eine armselige Volksschule in der
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