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Die Jagd auf die Venus

Die Jagd auf die Venus

Titel: Die Jagd auf die Venus
Autoren: Andrea Wulf
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halben Tonne Ausrüstung, Tausende von Kilometern durch die Wildnis hoch im Norden und tief im Süden reisen sollten. Ref 7
    Auch der Plan, genaue Entfernungen im Raum zu berechnen, war ein kühnes Vorhaben, da die Uhren noch nicht genau genug gingen für eine exakte Längenbestimmung; außerdem existierten nicht mal auf der Erde standardisierte Maßeinheiten: Eine englische Meile bezeichnete eine andere Länge als eine Meile in den deutschsprachigen Ländern  – und selbst dort gab es Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich. Eine Mil in Schweden betrug mehr als zehn Kilometer, in Norwegen mehr als elf, während
eine französische Lieue drei Kilometer, aber auch bis zu viereinhalb Kilometer lang sein konnte. Allein in Frankreich gab es 2000 verschiedene Maßeinheiten  – die sogar von Dorf zu Dorf verschieden waren. Angesichts dieser Umstände schien die Hoffnung, man könne Hunderte von Beobachtungen, die von Astronomen in aller Welt gesammelt würden, zu einem gemeinsamen Wert zusammenfassen, ungeheuer ehrgeizig. Ref 8
    Die Wissenschaftler, die ihre Observatorien an den europäischen Bildungszentren verließen, um die Venus von abgelegenen Außenposten der bekannten Welt zu beobachten, waren Abenteurer der besonderen Art. Auch wenn sie auf den ersten Blick nicht wie heldenmütige Entdeckungsreisende wirken mochten, bewiesen sie auf der weltweiten Jagd nach der Venus ungewöhnlichen Wagemut und Einfallsreichtum. Am 6. Juni 1761 und noch einmal am 3. Juni 1769 richteten mehrere hundert Astronomen in aller Welt ihre Teleskope auf den Himmel, um zu verfolgen, wie die Venus über die Sonne wanderte. Sie setzten sich über alle religiösen, nationalen und wirtschaftlichen Unterschiede hinweg, um sich zum ersten globalen wissenschaftlichen Projekt zusammenzuschließen. Dies ist ihre Geschichte.

Teil I
Transit 1761

Kapitel zwei
Die Franzosen sind die Ersten

    Als sich der Nebel am Kap der Guten Hoffnung hob, entdeckte Le Gentil vier Schiffe am Horizont. Noch etwa fünf Meilen entfernt, aber sich rasch nähernd, erschienen die bedrohlichen britischen Kriegsschiffe riesig im Vergleich zu der kleinen Fregatte, auf der der französische Astronom reiste. Ein Blick durch sein Teleskop zeigte ihm, dass zwei der Schiffe über je 64 Kanonen verfügten  – der französische Segler hatte nur 24. Die Briten verfolgten das Schiff seit ein paar Tagen, aber das Wetter hatte ihm immer ermöglicht, ihnen zu entkommen  – bis jetzt.
    Als ob Seereisen seinerzeit nicht auch so schon gefährlich genug gewesen wären, wurden sie durch die unberechenbare politische Situation noch riskanter. Mitten im Siebenjährigen Krieg schickte Delisle die Astronomen in Kampfgebiete. Da ihre Reise zwischen kriegführenden Armeen hindurch verlief, war höchst ungewiss, ob sie ihre Bestimmungsorte erreichen würden. Großbritannien und Frankreich waren Kriegsgegner, daher hätte das Auftauchen der feindlichen Flotte durchaus das frühzeitige Ende von Le Gentils Reise bedeuten können. Zwar hatten sich Wissenschaftler beider Länder bereit erklärt zusammenzuarbeiten, doch war ihr Projekt im größeren politischen und wirtschaftlichen Rahmen ohne Bedeutung. Mochten die Royal Society in London und die Académie des Sciences in Paris auch dasselbe Ziel verfolgen, wenn ein britisches Schiff einem französischen begegnete,
war eine Seeschlacht unvermeidlich. Der Krieg hatte die Seefahrt zu einem so riskanten Unterfangen gemacht, dass die britische Ostindien-Kompanie der Royal Society sogar geraten hatte, an jeden Ort zwei Beobachter zu schicken, sie aber »auf verschiedenen Schiffen« reisen zu lassen, falls eines angegriffen würde.
    Es war nicht das erste Mal, dass der 34-jährige Le Gentil auf seiner Reise dem Feind begegnete. Seit er Brest zwei Monate vorher, Ende März 1760, verlassen hatte, sahen sie sich gezwungen, im Zickzackkurs den Ozean zu kreuzen, um den Briten zu entgehen. Dieses Mal war ein Entkommen allerdings unwahrscheinlich. Le Gentil sah die Briten rasch näher kommen  – trotz des starken Windes fuhren sie unter vollen Segeln. In der Absicht, die französische Fregatte in die Zange zu nehmen, scherte ein britisches Schiff nach Steuerbord aus und das andere nach Backbord, schrieb Le Gentil  – »um uns zwischen zwei Feuer zu nehmen«.
    Angesichts dieser Gefahr bewies Le Gentil große Entschlossenheit. Schließlich hatte er eine wichtige astronomische Aufgabe zu erledigen, und nichts  – weder Kriege noch
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