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Die Jäger des Lichts (German Edition)

Die Jäger des Lichts (German Edition)

Titel: Die Jäger des Lichts (German Edition)
Autoren: Andrew Fukuda
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der ganze Zug wackelt hin und her.
    Ein lautes Trommeln erfüllt die Nacht wie von tausend galoppierenden Pferden. Aber es sind keine Pferde, die zu uns aufschließen. Pferde glänzen nicht blass und fleischfarben, sie zischen, spucken und sabbern nicht, auch heulen und kreischen sie nicht oder tauchen mit weiß leuchtenden Augen wie irre Monde aus der Dunkelheit auf.
    Ein Schrei. Ein Schatter ist auf einen Waggon gesprungen und hat ein kleines Mädchen, das an den Stäben lehnte, überrascht. Er reißt es durch das Gitter heraus, mehr oder weniger in einem Stück, aber mit gebrochenen Knochen und ausgerenkten Gelenken. Draußen stürzt er sich auf es und bringt seine Schreie zum Verstummen.
    »Weg von den Gittern!«, rufe ich. Das Mädchen mit den Sommersprossen fängt an, die Mädchen in die Mitte des Waggons zusammenzutreiben. Ein Schatter fliegt aus dem Dunkel heran, klammert sich behände wie ein Affe an die Gitterstäbe und greift blindlings hinein. Seine Krallen schneiden ins Leere.
    »Runter, bleibt unten!«, ruft das Mädchen mit den Sommersprossen, und im nächsten Moment landet ein Schatter auf dem Dach. Wir drücken uns gerade noch rechtzeitig auf den Boden, bevor sein Arm über uns schwingt wie giftigerEfeu. Der Schatter zischt frustriert, Speichel tropft auf uns herunter. Ich springe zu der nach wie vor bewusstlosen Sissy, schütze ihre Halswunden vor der Spucke und ziehe ihre Arme und Beine außer Reichweite des Schatters. Ihre Haut ist eiskalt, ihre Arme zucken spasmisch.
    Ein weiterer Schatter landet krachend an der Seitenwand, und noch einer. Sie rütteln an den Gitterstäben des Waggons wie an einem Vogelkäfig. Und immer noch weitere Schatter springen auf, bis der ganze Waggon bedeckt ist. Diese blasse, durchscheinende Decke aus Haut ist wie eine Vision der Hölle. Darauf verteilt wie Zitzen auf dem Bauch eines Hundes sind Schatter-Gesichter, die uns mit aufgerissenen Augen anzischen und nach uns schnappen.
    Der Zug rattert im vollen Tempo auf die Brücke zu.
    Sissy hat die Augen immer noch geschlossen, doch sie murmelt etwas, als würde sie beten oder die letzte Ölung darreichen. Für mich. Denn nun spüre ich den Schmerz an meiner Schläfe, und als ich die Stelle behutsam berühre, spüre ich das Blut an den Fingerspitzen. Dort wo mich Ashley June gekratzt hat, mit ihren Krallen, die mit ihrem Speichel vollgesabbert waren.
    Der Zug rumpelt voran, das Kreischen der Schatter dröhnt in unseren Ohren, und das Einzige, wozu ich imstande bin, ist, Sissy wie zwanghaft das Haar aus der Stirn zu streichen.
    Der Rhythmus des über die Schwellen der Gleise ratternden Zuges verändert sich. Wir überqueren die Brücke. Unddann liegt das Tal hinter uns, und wir donnern einen steilen Abhang hinunter und nehmen jetzt ernsthaft Fahrt auf.
    Durch die schmalen Lücken zwischen den Schattern werfe ich einen Blick zurück auf die Brücke. Auf der anderen Seite stauen sich Horden von Schattern, Dutzende werden über den Rand in die Schlucht gestoßen.
    Wir fahren weiter, immer schneller, bis wir um eine Kurve biegen und die Brücke und die Mission verschwunden sind.

44
    Die Fahrt durch die Nacht kommt mir endlos vor. Anfangs kauern wir uns vor den Schattern zusammen, die nicht loslassen wollen, sondern sich weiter an die Gitter klammern; später dann, um uns in der bitteren Kälte zu wärmen. Wir bauen Kisten mit Vorräten um uns auf und machen es uns in der Mitte so bequem wie möglich. Niemand kann schlafen, nicht bei den Klumpen tödlichen Speichels, die auf uns herabtropfen, nicht bei dem ununterbrochenen, wütenden und verzweifelten Kreischen der Schatter.
    Sissy ist glühend heiß. Sie schwitzt heftig und wird immer wieder von Krämpfen geschüttelt. Sie verwandelt sich langsam – warum so langsam, verstehe ich nicht –, aber in ein oder zwei Tagen wird der Prozess abgeschlossen sein. Wenn ihre Verwandlung zu weit fortgeschritten ist, werden wir das Undenkbare tun müssen. Wir müssen sie an den Rand des Waggons legen, in Reichweite der sich an die Stäbe klammernden Schatter, damit sie erledigen, was wir nicht übers Herz bringen. Niemand erwähnt es, aber es lastet auch unausgesprochen auf uns allen. Vor allem auf Epap. Er hat die ganze Nacht nicht geschlafen, sondern unablässig Sissys Haar gestreichelt; sein Gesicht ist verzerrt vor Trauer und Sorge. Seinen anderen Arm hat er um David gelegt.
    Irgendwann im Dunkel der Nacht schleiche ich mich an Sissys Seite. Sie glüht vor Hitze. Ich ziehe einen
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