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Die italienischen Momente im Leben

Die italienischen Momente im Leben

Titel: Die italienischen Momente im Leben
Autoren: Bruno Maccallini
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eines Stundenhotels kann einem bei einer netten Plauderei unzählige Geheimnisse anvertrauen und mit pikanten Anekdoten so einiges über die Gewohnheiten und die geheimen Laster vieler Italiener enthüllen. Von Freiern, diesich in eines dieser Mädchen verlieben und es später heiraten, über Swingerpaare aus der feinen Gesellschaft, die, um nicht erkannt zu werden, maskiert ins Hotel kommen, von Zimmern, die bereits im Voraus für nur eine Stunde reserviert werden, oder von zwei jungen Priestern, die unter der Woche einchecken und dafür sogar falsche Ausweise vorlegen, damit sie sich als schwules Architektenpaar ausgeben und so ihre Beziehung absolut geheim halten können. Das alles erfahre ich auf dem Weg vom Hotel zur Mietwagenagentur, wohin mich Mr Aerosol ein paar Stunden später bereitwillig fährt.
    Wir erreichen Syrakus am frühen Nachmittag, der Himmel ist bleigrau, und ähnlich trüb ist auch meine Laune. Deshalb gibt es nichts Besseres, als den Wagen zu parken (diesmal in einer bewachten Garage) und in eine Konditorei zu gehen. Ich brauche kein Prozac, mein Antidepressivum besteht aus einem riesigen cannolo , einem dieser köstlichen ausgebackenen Teigröllchen, die mit Ricotta, Zucker und kandierten Früchten gefüllt sind. Als ich mich danach im Spiegel betrachte, sehe ich durch den Puderzucker aus wie ein schneebestäubter Weihnachtsbaum. Und weil ich nicht mehr an mein Auto denken will oder an die Anzeige, die ich noch bei den Carabinieri machen muss, und den Anruf bei der Versicherung, gebe ich mir noch eine cassata , eine weitere Kalorienbombe aus Biskuit, Ricotta und jeder Menge kandierter Früchte. Ach ja … ein bisschen »Dolce Vita« gegen das Leid darf ich mir wohl gönnen. Schließlich bin ich nicht in Helsinki, sondern in Syrakus!
    Doch legendär sind in dieser Gegend nicht nur die leckeren cannoli und cassate . Die berühmte Redewendung vom Damoklesschwert, die jeder schon einmal gehört hat, geht ebenfalls auf eine lokale Legende zurück, die mir Freunde erzählt haben. Die Geschichte handelt von einem Gespräch zwischen Dionysius, dem antiken Tyrannen von Syrakus, und seinem Günstling Damokles. Dieser schmeichelte dem Herrscher, vor allem hob erdessen Stellung hervor und betonte, wie viel Glück er habe, all diese Reichtümer genießen zu können und so mächtig zu sein. Dionysius, der sich seiner Privilegien, aber auch der Gefahren, die die Ausübung von Macht mit sich bringt, wohl bewusst war, schlug Damokles vor, einen Tag lang die Rollen zu tauschen, damit er wirklich verstehen könne, was es hieße, an seiner Stelle zu sein. Damokles nahm das Angebot überglücklich an und genoss die Annehmlichkeiten des Hoflebens, das Feiern, den Reichtum und die absolute Macht. Als er jedoch während des Festes nach oben schaute, bemerkte er über seinem Kopf schwebend ein scharfes Schwert, das nur von einem dünnen Rosshaar gehalten wurde. Angesichts der tödlichen Gefahr verging Damokles sofort jede Begeisterung für die Prasserei, den Wein und das Fest. Kurz darauf nahm Dionysius seine angestammte Stellung wieder ein und erklärte Damokles die kleine Prüfung: Macht bringt große Privilegien mit sich, aber die Kehrseite der Medaille sind stets neue, überraschende Gefahren und Pflichten, die ständig als Folge der erworbenen Vorteile über unserem Haupt schweben.
    »Na, was denkst du darüber?«
    »Es wäre nicht schlecht, wenn unsere Politiker ab und zu so ein Damoklesschwert über sich spüren würden, damit sie sich an ihre Pflichten erinnern.«
    Es ist vier Uhr. Noch zu früh, um zum Theater zu gehen. Ganz in der Nähe begebe ich mich zwischen den Tischen draußen vor einer Bar auf die Suche nach einem alten Freund der Familie, U Ciclopu . Diesen Beinamen hatte er verpasst bekommen, als er gerade mal zwanzig war. Die Arbeiter in der Petrolchimico hatten ihn nicht nur wegen seiner enormen Körpergröße voller Respekt nach dem einäugigen Riesen aus Homers Odyssee benannt, alle vertrauten auf seine Entschlusskraft, und für sie war er ein Held. U Ciclopu konnte als einzelner Mann bewirken, dass die Fabrikschornsteine nicht mehr rauchten. Sagte er: » Oggi non sitravagghia, si sciopera «, dann arbeitete dort keiner, sondern es gab Streik. Oder »Heute legen wir die Stadt lahm«. Dann verließen alle die Fabrik und machten sich auf ins Zentrum, um zu demonstrieren. Und wenn er am Verhandlungstisch saß, brauchte er bloß den Kopf zu schütteln, und das bedeutete Nein, das reicht nicht, sie
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