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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen
Autoren: Dagmar Fohl
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sprechen.«
    Andreas Hartmann hätte Lorenzen am liebsten den Mund zugeklebt.
    Der alte Mann zog an seiner Pfeife, blies den Rauch stoßweise aus. »Du hättest deine Familie gleich bei mir einquartieren können. Ich habe viel Platz. Warum hast du Jensen und nicht mich gefragt?«
    »Du bist Witwer, und nicht mehr der Jüngste. Ich wollte dir meine Familie nicht aufbürden.«
    »Ach was, ich habe Elke Martinsen geholt. Sie hat die Kammer hergerichtet und wird kochen. Das wär alles auch vorher gegangen.«
    Andreas Hartmann spähte aufs Wasser. In weiter Ferne war das Schiff zu sehen, das Almut und die Kinder auf die Insel brachte.
    Lorenzen räusperte sich. »Vielleicht kann deine Frau wegen Jensen etwas ausrichten? Sie kennt doch bestimmt einflussreiche Kirchenmänner.«
    Andreas Hartmann antwortete nicht. Die Fähre näherte sich. Mit jeder Welle, die ihm Almut näher brachte, wuchs seine Niedergeschlagenheit. Immer düsterer wurden seine Gedanken. Pfeilschnell schossen sie durch seinen Kopf wie die schwarze Schar von Wildenten, die kreischend über ihn hinwegflog. Er schämte sich der Bosheiten, die in ihm aufkeimten, aber jede herannahende Welle spülte ihn noch tiefer in den Abgrund.
    »Ich habe Elke gesagt, dass sie Schollen braten soll. Sie sind im Herbst am allerbesten, schön groß und saftig. Ich hoffe, deine Familie mag Schollen.«
    Die Flut brachte das Fährschiff schnell näher. Andreas Hartmann hörte schon die Bugwelle rauschen. Wenn es jetzt einfach umkehrte, zurück ans Festland …
    »Mögen deine Frau und deine Kinder Schollen?«
    »Ja doch.«
    »Freust du dich denn gar nicht?«
    »Aber ja! Es ist nur die viele Arbeit. Ich muss noch so viel vorbereiten.«
    »Keine Sorge, ich werde deine Familie unterhalten. Ich zeig ihnen die Insel.«
    Das Schiff warf Anker. Er konnte Almut, Jule und Hannes nicht ausmachen. Waren sie unter Deck? Die Menschen verließen die Fähre. Dann wurden die Güter ausgeladen. Andreas Hartmann schwankte zwischen Hoffen und Bangen. Sie waren eindeutig nicht auf dem Schiff. Freude stieg in ihm auf. Dann Sorge. Schließlich Ernüchterung. Sie hatten diese Fähre verpasst. Sie würden mit dem nächsten Schiff kommen.
    Lorenzen hob den Arm. »Das da hinten ist übrigens der Inspektor. Er heißt Ingwersen. Sieht aus wie eine besoffene Bisamratte, nicht wahr?«
    Andreas Hartmann antwortete nicht. Der Fährkapitän kam auf ihn zu.
    »Ein Brief für Sie. Ich soll ihn persönlich übergeben.«
    Er nahm den Umschlag entgegen, sah auf den Absender. Von Friedrich. Was war geschehen? Mit fahrigen Händen öffnete er den Umschlag.
     
    Lieber Andreas,
    wie soll ich beginnen? Du hast Almut und die Kinder erwartet, und nun hältst du meinen Brief in den Händen, der keine guten Nachrichten bringt. Almut und Hannes liegen seit einigen Tagen im Spital unter Quarantäne. Ihre Krankheitssymptome sind der Cholera ähnlich. Aber die Ärzte sind sich noch nicht sicher. Bitte bewahre die Ruhe. Vielleicht ist es auch irgendetwas anderes, was sie sich auf ihrem Spaziergang an den Hafen eingefangen haben. Unter den Auswanderern grassieren die merkwürdigsten Krankheiten.
    Im Moment ist Hannes’ und auch Almuts Zustand stabil. Doktor Albers fährt Tag für Tag ins Spital und sieht den Ärzten auf die Finger. Er kümmert sich rührend um die beiden.
    Jule ist bei uns. Mach dir also keine Sorgen um sie.
    Ich rate dir, vorerst auf der Insel zu bleiben und die Leuchtturmeinweihung durchzuführen, zumal du weder Almut noch Hannes besuchen darfst. Danach aber komme bitte schnell nach Hause. Ich werde dir täglich schreiben, wie es um die beiden steht.
    Ich bedaure, dir keine besseren Nachrichten überbracht zu haben.
    Ich grüße dich von Herzen und wünsche dir Kraft.
    Mit Gottes Segen
    Dein Bruder Friedrich
     
    Andreas Hartmann hockte im Werkzeugschuppen. Kalter Schweiß brach aus seinen Poren. Von allen Seiten brausten heftige Böen heran. Hagelschauer ging aus einer schwarzen Wolkenwand nieder, Flutwellen umtosten ihn. Plötzlich ein Krachen. Mehrere heftige Stöße erschütterten ihn. Leuchtraketen und ein Feuer in einem Fass loderten. Und Wasser, überall Wasser. Es drängte immer mehr dorthin, wo er saß. Die Rettungsboote. Die Wellen hatten sie mitgerissen. Er klammerte sich an einen der Masten. Die Wellen schlugen immer ungestümer über Deck. In die Masten und Rahen! Masten und Rahen! Er hing in der Luft, der Schiffsrumpf brach auseinander. Knarren, Krachen, Schreie. Hielt sich in der Takelage.
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