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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman
Autoren: Luchterhand
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hatte, als entschlossen, wo er vorher schwach geworden war. Das Ehrenwort, das er sich selbst vor der schwarzen Mauer des Militärgefängnisses gelobt hatte, wollte er halten, auch wenn es ihn das Leben koste.
    Also war er am 16. Dezember 1902 in die Armee zurückgekehrt, diesmal als gemeiner Soldat, im 23. Bataillon von Veracruz. Die Bedingungen waren noch härter als jene, die ihn beim ersten Mal zerbrochen hatten, zumal er damals als Oberfeldwebel in die Streitkräfte eingetreten war, aber er hielt bei diesem zweiten Anlauf trotzdem stand. Er hielt stand, schuftete resigniert, aß die Scheiße mit dem Suppenlöffel, und wurde ein halbes Jahr später zum Gefreiten befördert. Dann zum Unterfeldwebel und wieder zum Oberfeldwebel, dem Dienstgrad, mit dem er beim ersten Mal angetreten war.
    Am4. Juliwurdeer,inzwischenalsLeutnant,zumZehntenBataillonnachYucatánversetzt,mitdemBefehl,denAufstanddesMaya-Volksniederzuschlagen.DasZielseinerMissionwarunerreichbar.ErmussteeinsprechendesKreuzbesiegen,einsogenanntesheiligessprechendesKreuz,dasalsOberbefehlshaberdieIndiosanführteundsiezurRebellionanstiftete.Arnaudversuchte,seineOrderzuerfüllen.ErmachteheiligeFestungendemErdbodengleichundhautemitseinemSäbelaufzahlloseKreuzeein,welchedieGabedesWortesbesaßen,womitsiejedochdieMayaskeineswegszumGebetriefen,sondernvielmehrihrenWiderstandstärkten.AberfürjedesvernichteteKreuzerschienenandergleichenStelledreineue – dessenTöchter,dieneuensprechendenKreuze – ,sodassderEinsatzdie reinste Hölle war, ein nicht enden wollender Albtraum.
    Zur Belohnung für seinen Kraftakt, der, wenn auch nicht von Erfolg gekrönt, so doch übermenschlich war, stellten die Streitkräfte seine verlorene Ehre wieder her und er bekam einen Verdienstorden für seine Tapferkeit.
    Wenn die Vergangenheit damit vergessen war und er mit der Armee wieder Frieden geschlossen hatte, wenn er nun als Unteroffizier glänzte, ja, wenn sie ihm sogar einen Orden verliehen hatten, warum verlangten sie dann von ihm, jetzt so heftig zurückzustecken? Warum wollten sie ihn auf dem unbedeutendsten Punkt der Landkarte aussetzen?
    »Außerdem will ich heiraten, Pate«, versuchte Arnaud verzweifelt, die Entscheidung von sich abzuwenden.
    Die Ehe sei beschlossene Sache, er müsse Wort halten. Und er wolle das auch, schließlich hatte er um ihre Hand angehalten, er war verliebt und Alicia wartete auf ihn. Er konnte doch jetzt seiner Braut nicht erklären, dass nichts daraus würde, wie sollte er vor ganz Orizaba, das von der bevorstehenden Hochzeit wusste, diesen neuerlichen Wortbruch rechtfertigen. Er möge das doch bitte verstehen, flehte Arnaud, das sei wohl eindeutig, dass er die Hochzeit nicht aufschieben könne.
    Da brach sich ein patriotischer und paternalistischer Redeschwall bei Oberst Avalos Bahn. Die Worte sprudelten nur so aus seinem Mund. Ramón Arnaud vermochte nur Bruchstücke davon aufzuschnappen, unzusammenhängende Halbsätze, die kaum ausgesprochen, schon verzerrt an sein Ohr drangen.
    »Es gibt Dinge, die haben Vorrang«, dozierte der Oberst und war nicht mehr zu bremsen. »Dies ist die Stunde, an Großes zu denken … Vaterlandsboden … dieses Stück mexikanischer Erde gegen Frankreich verteidigen, das es sich aneignen will … sich gegen dieses historische Unrecht auflehnen … du sprichst Französisch und hast die Voraussetzungen … wenn nötig, sein Leben lassen … Mexikaner zum Kriegsgeschrei …«
    Arnaud hörte Avalos mit halber Aufmerksamkeit zu, während er bei sich dachte: ›Diese Schweine wollen mich zum fünften Mal in die Hölle schicken.‹ Aber er zog ein bekümmertes Gesicht, riss flehend die runden Augen auf, vielleicht zeigte seine Opfermiene ja Wirkung. Die zeigte sich, allerdings, indem die überbordende, überzeugende Stimme des Obersts eine Spur Ungeduld annahm, bis sie mit einem Mal metallen dröhnte und wie ein Beil die Drohung fallen ließ:
    »Wenn du dich weigerst, werden die mexikanischen Streitkräfte das als zweite Fahnenflucht werten.«
    »Und wenn ich annehme, Pate, dann ist es auch nichts Besseres als eine unehrenhafte Degradierung.«
    Avalos’ Erpressung hatte Arnaud einen Schuss Adrenalin ins Gehirn gejagt und dieser Satz, der zu seiner eigenen Überraschung schlagkräftig und männlich klang, gab ihm den Mut fortzufahren. ›Ich spiele nicht mehr den Idioten für die, diesmal kriegen sie was zu hören‹, sagte er zu sich selbst und war drauf und dran, in Rage zu geraten, als Avalos ihm kurzerhand Einhalt
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