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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman
Autoren: Luchterhand
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mir.«
    SiebefragtensienachNamen,Daten,EreignissenundGründen.SievergewissertensichüberdasWie,Wann,WerundWarum.SiegabmitdergrößtmöglichenGenauigkeitAuskunft,ineineminderJugendbeidenNonnenerlerntenEnglisch,dasihrbiszudiesemAugenblicknurdazugedienthatte,LiebesbriefeanRamónzuschreiben.PerrilnotiertealleAngaben,undalserfertigwar,wollteerwissen,obsieihnanDeckbegleitenwolleundmitihmdielaueNachtluftgenießen.DoktorRossempfahlsichmitderBegründung,dasssieihnzuihrerVerständigungwohlnichtmehrbrauchten.
    Kaum standen sie mit Blick zum Meer, das ihre Gesichter mit einer nächtlichen Brise empfing, wollte Kapitän Perril Alicia Arnaud sein tiefes Mitgefühl für ihr Missgeschick bekunden und zum Ausdruck bringen, wie sehr er sie für ihren Mut bewunderte, das Schicksal von Erwachsenen und Kindern in die Hand genommen zu haben – trotz allem. Diese und andere Sätze legte er sich im Geiste zurecht, sie lagen ihm auf der Zunge, aber er bekam sie nicht heraus. Er war selbst überrascht über seine Unsicherheit und seine Schüchternheit in Anwesenheit dieser altmodisch gekleideten Frau, die, so dachte er, immer noch schön war – trotz allem.
    »Haben Sie auf irgendetwas Lust?«, machte Perril einen Anfang. »Ich würde Ihnen gerne eine Freude machen, nach den jahrelangen Entbehrungen.«
    Sie dachte einen Moment nach, dann erwiderte sie, ja, sie hätte gerne einen Orangensaft. Der Kapitän ließ ein großes Glas Apfelsinensaft kommen, und während sie es trank, sagte Alicia, wenn sie das auf der Insel gehabt hätten, dann wären viele Menschenleben gerettet worden. Sie erzählte ihm von der Skorbutepisode, worauf er sie auf den neusten Stand über den Weltkrieg brachte; sie redete dann weiter über den Schwarzen, Victoriano, er über die Aufstände des russischen Volkes; sie erläuterte ihm, wie sie Tölpel gefangen hatten, er schloss eine Beschreibung vom Tode des Kaisers Franz Joseph I an. Sie vergaßen die Zeit und vertieften sich in ein Gespräch, das bis ein Uhr morgens dauerte und nur abgebrochen wurde, weil die Kälte an Deck anzog. Bevor sie hineingingen, gestand der Kapitän ihr, welche Vorbehalte er am Morgen gegen den Abstecher zur Insel Clipperton gehabt hatte.
    »Das unterseeische Riff«, sagte er zu ihr, »erfordert Fingerspitzengefühl beim Befahren dieser Gewässer. Ich bin froh, dass wir den Ort hinter uns haben.«
    »Und ich habe schon angefangen, ihn zu vermissen«, gab sie lächelnd zurück.
    Während er sie zur Wachkajüte begleitete, wo die anderen Frauen und die Kinder schon früh schlafen gegangen waren, fragte Perril sie:
    »Sagen Sie, Señora Arnaud, waren diese neun Jahre für Sie die Hölle?«
    Sie ließ die Frage eine Weile auf sich wirken, wog das Gute und das Schlechte gegeneinander ab und sagte dann aufrichtig:
    »Sie waren erträglich, danke, Herr Kapitän.«
    Nachdem er ihr für die erste Nacht ihres neuen Lebens schöne Träume gewünscht hatte, wandte sich Perril der Funkkabine zu, blieb bis um drei Uhr früh mit dem Funker dort und versuchte dem britischen Konsul in Acapulco – der während des Krieges auch die Angelegenheiten der USA vertrat – ein Telegramm zu übermitteln, in dem er ihm seine Ankunft im Hafen von Salina Cruz mit vier Tagen Verspätung ankündigte sowie die von der Insel Clipperton geretteten Schiffbrüchigen, die er an Bord hatte. Als das Telegramm endlich durchging, zog er sich in seine Kajüte zurück, und machte, da er nicht schlafen konnte, ein paar unzusammenhängende Aufzeichnungen in sein persönliches Tagebuch:
    »Die Witwe des Hauptmanns, Arnauds Frau, ist die einzige Weiße. Sie ist erst 29 Jahre alt, und, obwohl sie älter aussieht, immer noch eine attraktive Frau. Sie ist sehr intelligent, was im Gespräch mit ihr deutlich wird. Das muss sie auch sein, anderenfalls hätte sie die Leute nicht so gut durch die harten Prüfungen führen können, die sie gewiss durchgemacht haben. Ihre Kleidung ist längst aus der Mode, aber von ausgezeichneter Qualität, und sie trägt vorzügliche Diamanten, die von wohlhabenderen Zeiten künden. Sie hat mir das Geld gezeigt, das sie gespart und versteckt hat und mit dem sie sich nach ihrer Rückkehr durchschlagen will. Ich hatte nicht den Mut, sie darüber aufzuklären, dass es zu General Huertas Zeiten noch ein Haufen Geld war, aber sein Wert inzwischen auf einen Bruchteil gefallen ist. Abgesehen von ihr und ihren Kindern sind alle Indios, aber auf den ersten Blick hielt ich sie für Schwarze, weil ihre Haut so stark
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