Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman
Autoren: Luchterhand
Vom Netzwerk:
er liegen lassen«, sagte Altagracia und gab ihnen einen Holzhammer, mit dem Victoriano die Kokosnüsse aufbrach.
    Im letzten Moment fiel ihnen ein, dass es besser war, wenn Altagracia nicht mitging, wenn sie ihn mit der Liebe locken wollten. Sie beschlossen, dass Alicia ihn ansprechen würde und Tirsa sich dann anschlich, heimlich, von hinten. Altagracia sollte die Kinder von der Klippe herunterholen, befahl ihr Alicia, »ehe sie mir da noch abstürzen«.
    Tirsa band sich einen Strick um die Hüfte, damit sie den Holzhammer hinter dem Rücken verbergen konnte, und Alicia wusch sich die Beine im Meer und fuhr sich mit den gespreizten Fingern durchs Haar. Während sie sich nach Norden wandten, beratschlagten sie, wie sie den Kerl angehen sollten: gemeinsam, getrennt, gemeinsam, getrennt. Gemeinsam. Sie gingen nebeneinander her, bis sie ihn sahen. Er saß zwanzig Meter vor ihnen am Strand mit seinem rotbraunen Schopf, wie von einem Maiskolben, der pockennarbigen Haut und den vom Rheuma gekrümmten Beinen. Sie verlangsamten ihre Schritte, fassten sich an der Hand, drückten einmal fest, ließen wieder los und gingen auf ihn zu.
    »Er merkt bestimmt, was wir vorhaben, weil mir die Stimme zittern wird, wenn ich ihn anspreche«, flüsterte Alicia.
    »Dir wird die Stimme nicht zittern, wenn du ihn ansprichst, genauso wenig wie mir die Hand zittern wird, wenn ich ihn erschlage. Wir benehmen uns seit Monaten wie die Idioten. Es wird Zeit, dass wir zur Tat schreiten und zwar richtig.«
    Victoriano, der gerade dabei war, Köder an seinen Angelhaken zu befestigen, hob den Kopf, als er sie bemerkte.
    »Was sage ich zu ihm, Tirsa … «, flehte Alicia durch die zusammengebissenen Zähne.
    »Egal, sag irgendwas. Jetzt, los!«
    »Victoriano!«, rief Alicia, »ich will mit dir reden.«
    »Nur zu, reden Sie, Señora.«
    »Du forderst mich nicht auf, Platz zu nehmen?«
    »Seit wann brauchen Sie eine Einladung, um sich auf den Boden zu setzen … «
    »Weißt du, es ist was Wichtiges, Victoriano.«
    »Dann setzen Sie sich«, der Schwarze vollführte eine großartige Gebärde mit dem Arm und zeigte auf den Sand.
    »Ich bin gekommen, weil ich dir sagen wollte, dass ich dich heiraten will.«
    »Dass Sie was wollen?«
    »Dass ich dich heiraten will.«
    »Also, das hör sich mal einer an. Bis gestern wollten wir uns gegenseitig umbringen und heute wollen wir heiraten.«
    »Aber so ist es, Victoriano. Tirsa und ich haben uns überlegt, dass wir das ganze Leben auf dieser Insel zubringen werden, und da ist es doch besser, dachten wir uns, wenn wir es als anständige Leute tun und das Kriegsbeil zwischen uns begraben. Ich meine damit, dass wir eine Einigung finden sollten, im Guten.«
    »Und worauf wollen Sie sich einigen … «
    Alicia hatte den Eindruck, dass der Vorstoß misslang. Sie empfand sich als hässlich, alt und ungepflegt und konnte sich nicht vorstellen, dass jemand sie so heiraten wollte. Besser, sie fädelte die Sache anders ein.
    »Na ja … du willst doch Gouverneur sein, oder?«
    »Ich bin schon der Gouverneur.«
    »Das stimmt nicht, du bist ein Tyrann und hältst uns mit Schlägen in Schach, aber du hast keine echte Autorität, über gar nichts. Dagegen bin ich sehr wohl Gouverneurin, weil Porfirio Díaz diesen Titel meinem Mann verliehen hat.«
    »Porfirio Díaz ist tot.«
    »Und mein Mann ist auch tot, genauso wie all die anderen Leute, aber das hat nichts zu sagen. Wenn du und ich heiraten, dann werden dich alle als Gouverneur anerkennen, und mich als Gouverneurin. Dann können wir die Insel in Frieden regieren, wie anständige Herrscher, und nicht mit Gewalt, die schlecht ist für die Kinder und für uns auch.«
    »Wenn man eine Gouverneurin heiratet, wird man dann selber Gouverneur?«
    »Ja, genau. Und wenn man eine Königin heiratet, dann wird man König.«
    »Das gefällt mir, dann bin ich der rechtmäßige Gouverneur, wie mein Großvater.«
    »Wie welcher Großvater … «
    »Mein Großvater, General Manuel Álvarez. Er war der echte Gouverneur vom Staat Colima. Das war was anderes als bei Hauptmann Arnaud, der zum Gouverneur dieser Scheißinsel ernannt wurde.«
    »So schlecht ist die doch gar nicht. Weißt du denn nicht, dass die Franzosen sie uns wegnehmen wollen? Und die Nordamerikaner auch. Sogar die Japaner sind scharf darauf, das wird wohl seinen Grund haben.«
    »Stimmt schon. Wer weiß, was das für einen Grund hat. Aber was ich nicht verstehe, ist, warum Sie mich vorher gehasst haben und jetzt plötzlich lieb
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher