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Die innere Freiheit des Alterns

Die innere Freiheit des Alterns

Titel: Die innere Freiheit des Alterns
Autoren: Ingrid Riedel
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bestimmten spirituellen Weg, bei der Dritten ist es die Frage, wie man im Alter mit den ernsten Problemen einer Institution umgehen könne, die einem doch zur geistigen Heimat geworden ist. Bei der Vierten ist es eine lebensbedrohliche Krankheit, über deren Verlauf sie die Freundinnen unterrichten möchte. Bei der Fünften sind es die Einschränkungen, die ein inzwischen sehr hohes Lebensalter mit sich bringt. Bei der Sechsten geht es um Probleme mit ihrem Sohn. Alles dies gehört zusammen, gehört zur Ganzheit des Lebens, die wir im Alter suchen und miteinander teilen.
    Die Freundschaft mit Jüngeren wiederum ist besonders kostbar, wo sie sich ergibt, weil sie uns an den Möglichkeiten und Fähigkeiten, auch den Interessen und Lebenswelten der nachwachsenden Generation beteiligt. Zugleich bringt sie uns in Kontakt mit den jüngeren und werdenden Seiten unserer selbst: Mit einer jüngeren Frau erlebe ich Facetten, die sich auch in mir, der Älteren, noch entwickeln möchten, zum Beispiel eine mutigere Konfliktfähigkeit, eine gewagtere Kreativität.Als Ältere gebe ich Erfahrung, Ausgewogenheit, gelegentlich auch Mütterlichkeit an die Jüngere weiter.
    Manche Mütter durchleben in der Freundschaft mit jüngeren Frauen eine Anerkennung, die ihnen von ihren eigenen Töchtern versagt blieb; sie lernen Konflikte anzugehen und zu lösen, die sie mit ihren eigenen Kindern nicht angehen konnten. Die Jüngeren wiederum erleben in einer Freundin aus der älteren Generation solche Seiten, die sie an der eigenen Mutter vielleicht vermissten und können sie in ihr Leben hineinholen. Für beide ist es faszinierend, die Eigenarten und Begabungen der anderen über die Generationen hinweg wahrzunehmen; es gibt die Möglichkeit, mit der anderen zusammen die entsprechenden Fähigkeiten noch einmal oder überhaupt zum ersten Mal zu aktualisieren: zum Beispiel eine bestimmte Art, Humor und Ironie zu äußern; eine Art, Gefühle zuzulassen und auszudrücken; eine besondere Art hinzuschauen oder zu erzählen; eine Art, freundschaftlich herauszufordern … In der Freundschaft zwischen älteren und jüngeren Frauen aktualisiert sich das, was der altgriechische Mythos von der Göttinnendreiheit aus der jungen Persephone, der reifen Demeter und der alten Hekate wohl meinte: In einem Frauenleben sind in jeder Phase auch die anderen beiden Lebensalter synchron gegenwärtig, sodass in der alten also auch die reife, blühende Frau sowie das junge, erwartungsvolle Mädchen zugleich lebendig werden.
    In der erotischen Begegnung, zum Beispiel mit einem jüngeren Mann, gilt das Gleiche – so wie es in der Oper Der Rosenkavalier zwischen der Marschallin und ihrem jungen Geliebten modellhaft dargestellt ist: 45 Die Begegnung belebt hier ungemein, vitalisiert, verjüngt – erfordert aber schließlich die Reife, die innere Freiheit von der Älteren, den jüngeren Menschen weiterziehen zu lassen und freizugeben in eine Begegnung mit einem Menschen seines Alters hinein, wenn eine solche ihn denn schicksalhaft ruft. Heute ist die Beziehung einer Frau zu einem jüngeren Mann zum Glück nicht mehr tabuisiert, kann doch die ältere Frau viel Schöpferisches in dieBeziehung einbringen, gerade auch im Erotischen, wo sie oft die Anregende sein wird.
    Nicht anders stellt es sich bei der Begegnung eines alten Mannes mit einer jungen Frau dar, wie sie im Mythos von Merlin und Viviane archetypisch vorgezeichnet ist. 46 Hier gilt es für den alten Merlin, der jungen Frau die Freiheit zu ihrer eigenen Entwicklung nicht zu beschneiden. Der alte Goethe und seine Beziehung zu der blutjungen Ulrike von Reventlow hat in letzter Zeit immer wieder Aktualisierungen erfahren, so zum Beispiel in dem Roman des alten Martin Walser 47 – wohl der bekannteste und wohl auch umstrittenste Versuch über den alten Goethe und dessen junge Geliebte. Und dann: Unter den Alten selbst sollte die Begegnungsfreiheit zwischen den Geschlechtern endlich unbeschnitten sein und durch keine Konvention mehr behindert werden können.
    Die Kunst wiederum, alleine zu sein und mit sich selber auszukommen, ist eine hohe Kunst, die für uns Alte entscheidend wird. »Wie froh bin ich doch, dass ich die Johanna habe«, sagte mir einmal eine Frau dieses Namens. Sie mochte sich, sie kam gut mit sich aus. Andererseits: »Spät habe ich gelernt, gerne Frau zu sein«, so die bekannte Schweizer Theologin Marga Bührig 48 , die unserer Frauengeneration viel bedeutete, in einem Buch, das sie im Alter schrieb
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