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Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen

Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen

Titel: Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen
Autoren: Harald Haarmann
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dem Bewusstsein einstmaliger und neugewonnener Eigenstaatlichkeit, auf armenischen Kulturtraditionen und vor allem auf der armenischen Sprache (von den Armeniern selbst
Hayeren
genannt). Ähnlich wie das Griechische und Albanische repräsentiert das Armenische einen eigenen Sprachzweig des Indoeuropäischen; es gehört zu den Satem-Sprachen. Als Schriftsprache wird das Armenische seit dem 5. Jahrhundert n.Chr. verwendet, und zwar in einem Originalalphabet mit 36 Buchstabenzeichen, das im Jahre 406 von dem Kleriker Mesrop geschaffen wurde. Im 11. und 12. Jahrhundert wurden zwei weitere Zeichen zur Schreibung fremder Laute ergänzt. Nach einer volkstümlichen Überlieferung haben die Armenier ihre kulturelle Unabhängigkeit mit «38 Soldaten» erfolgreich durch alle Zeiten verteidigt, eben mit ihrem Alphabet.
    Das armenische Schrifttum umfasst ein großes Korpus christlicher Literatur, ebenso zahlreiche philosophische Schriften (darunter auch frühe Übersetzungen griechischer Autoren wie Aristoteles) und wissenschaftliche Werke.

7. Indoeuropäische Sprachen heute
    Praktisch jeder der fast sieben Milliarden Menschen auf der Welt hat heute auf die eine oder andere Weise mit einer indoeuropäischen Sprache zu tun, sei es als Muttersprache, als Zweitsprache, als Sprache der Schulausbildung, als Amts- oder Staatssprache, als Handelssprache, als Wissenschaftssprache, als Modernitätsindikator. Keine andere Sprachfamilie hat so viele Weltsprachen, also Sprachen mit globaler Verbreitung hervorgebracht wie die indoeuropäische.
    Beim Stichwort Weltsprachen denkt man spontan an das Englische, dessen Ausbreitung in Regionen außerhalb Europas mit dem langfristigen Aufbau des britischen Kolonialreichs seit dem 17. Jahrhundert begann. Weltsprachen existierten aber schon lange vor der Ära der anglophonen Welt. Während der hellenistischen Periode (seit dem ausgehenden 4. Jahrhundert v. Chr.) hatte das Griechische als Kultursprache internationale Geltung, nicht nur in Europa (von Hispanien bis in den Kaukasus), sondern auch in Asien (Kleinasien, Naher Osten, Zentralasien) und in Nordafrika (bis nach Nubien). Sein stärkster Rivale, das Lateinische, war seit der Zeitenwende die wichtigste Kontaktsprache im gesamten Mittelmeerraum. Im Mittelalter stand das Lateinische in Konkurrenz zum Arabischen, das selbst in Europa (auf der Pyrenäenhalbinsel) jahrhundertelang weltsprachliche Funktionen wahrnahm. Schwerpunkte der internationalen Kommunikation mit Arabisch waren Nordafrika sowie der Vordere und Mittlere Orient.
    Die meisten der modernen Weltsprachen – ausgenommen das Chinesische, Japanische und Arabische – gehören zum Kreis der indoeuropäischen Sprachen: Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Französisch, Russisch und Deutsch. Dass heute die Mehrheit der Sprecher indoeuropäischer Sprachen außerhalb Europas lebt, ist allerdings eher eine Folge des Kolonialismus und hat wenigermit den Zuwachsraten jener Sprachen zu tun, die mit den prähistorischen Migrationen der Indoeuropäer in Asien heimisch wurden. Die modernen indoeuropäischen Weltsprachen sind sämtlich in Europa entstanden und haben sich von dort aus verbreitet.
    Indoeuropäische Weltsprachen: Sprecherzahlen in Europa und außerhalb Europas

    Von den europäischen Weltsprachen hat sich allein das Russische auf dem Landweg ausgebreitet, und zwar seit dem 17. Jahrhundert über das Tiefland Südsibiriens bis an den Amur. Die anderen Exportsprachen sind auf dem Seeweg transferiert worden. Ursprünglich wurden sie mit ihren Sprechern exportiert, haben aber in Übersee eine Eigendynamik entfaltet, die sich konkret als Assimilationsdruck auf einheimische Sprachgemeinschaften manifestiert. Im Prinzip waren bei der Ausdehnung der Kolonialsprachen dieselben Faktoren wirksam, die für die Indoeuropäisierung in prähistorischer Zeit rekonstruiert werden können (s. Kap. 4): Prestigedruck und Siedlungsdruck.
    Der letztere Faktor war entscheidend für die Ausbreitung des Englischen über Nordamerika, des Französischen in Kanada und des Spanischen in Mexiko. Die Rolle des Spanischen für den Akkulturations- und Assimilationsprozess indianischer Ethnien in der Andenregion gründet sich dagegen auf das autoritative Image lokaler spanischsprachiger Eliten. Ähnliches gilt für dieVerbreitung des Portugiesischen in Brasilien. Für die Geschichte der Weltsprachen in Amerika ist ein weiterer, langfristig wirksamer Faktor von entscheidender Bedeutung: die politische Autorität
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