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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge
Autoren: Dan Simmons
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ein simpler Heide.« Er lächelte allen zu. »Für einen Heiden«, fuhr er fort, »ist das Shrike eine höchst akzeptable Gottheit.«
    »Ich schenke Religionen keine Beachtung«, sagte Brawne Lamia. »Ich verfalle ihnen nicht.«
    »Ich glaube, dass ich deutlich machen konnte, worum es mir geht«, sagte Sol Weintraub. »Keiner von uns gesteht ein, dass er sich dem Dogma des Shrike-Kults unterwirft, und doch haben die Ältesten dieser scharfsichtigen Gruppe uns aus vielen Millionen gläubigen Bewerbern ausgesucht, die Zeitgräber zu
besuchen und ihren Gott des Zorns – möglicherweise die letzte Pilgerfahrt überhaupt.«
    Der Konsul schüttelte den Kopf. »Sie haben vielleicht deutlich gemacht, worum es Ihnen geht, M. Weintraub«, sagte er, »aber ich verstehe es nicht.«
    Der Gelehrte strich sich geistesabwesend über den Bart. »Nun, es hat den Anschein, als wären unsere Gründe, nach Hyperion zurückzukehren, so zwingend, dass selbst die Kirche des Shrike und die Geheimdienste der Hegemonie der Meinung sind, wir haben es verdient, zurückzukehren«, sagte er. »Manche dieser Gründe – meine, zum Beispiel – dürften öffentlich bekannt sein, aber ich bin sicher, dass generell keine in allen Einzelheiten bekannt sind, außer den Individuen an diesem Tisch. Ich schlage vor, wir erzählen uns unsere Geschichten in den wenigen Tagen, die uns noch bleiben.«
    »Warum?«, fragte Oberst Kassad. »Es dient keinem ersichtlichen Zweck.«
    Weintraub lächelte. »Im Gegenteil, es würde uns – im geringsten Fall – amüsieren und uns Einblicke in die Seelen unserer Mitreisenden gewähren, bevor das Shrike oder ein anderes Unheil über uns kommt. Darüber hinaus könnte es uns vielleicht gerade genügend Einblicke gewähren, unser aller Leben zu retten, wenn wir intelligent genug sind, den Faden gemeinsamer Erfahrungen zu finden, der unsere Schicksale mit den Launen des Shrike verbindet.«
    Martin Silenus lachte leise und machte die Augen zu. Er sagte:
    »Auf Delphins Rücken saßen sie,
unschuldig obenauf,
Erlebten ihren Tod nochmals,
Und ihre Wunden brachen wieder auf.«
    »Das ist Lenista, richtig?«, sagte Pater Hoyt. »Ich habe sie im Seminar studiert.«
    »Fast«, sagte Silenus, öffnete die Augen wieder und schenkte sich mehr Wein ein. »Es ist Yeats. Der Kerl hat fünfhundert Jahre vor dem Augenblick gelebt, als Lenista an der Metallzitze ihrer Mutter gesaugt hat.«
    »Hört zu«, sagte Lamia, »was hätte es für einen Sinn, uns Geschichten zu erzählen? Wenn wir dem Shrike begegnen, erzählen wir ihm, was wir wollen – einem von uns wird sein Wunsch gewährt, die anderen sterben. Korrekt?«
    »So will es die Legende«, sagte Weintraub.
    »Das Shrike ist keine Legende«, sagte Kassad. »Und sein Stahlbaum auch nicht.«
    »Also warum sollten wir uns mit Geschichten langweilen?«, fragte Brawne Lamia und spießte das letzte Stück Schokoladenkäsekuchen auf.
    Weintraub strich zärtlich über den Hinterkopf seines schlafenden Kindes. »Wir leben in seltsamen Zeiten«, sagte er. »Weil wir Teil des Zehntels eines Zehntels des einen Prozents der Bürger der Hegemonie sind, die zwischen den Sternen reisen und nicht im Netz, repräsentieren wir vergangene Epochen unserer eigenen jüngsten Vergangenheit. Ich zum Beispiel bin achtundsechzig Jahre alt, aber aufgrund der Zeitschuld, die meine Reisen aufgehäuft haben könnten, könnten sich diese drei mal zwanzig und acht Jahre gut und gerne über mehr als ein Jahrhundert Hegemoniegeschichte erstrecken.«
    »Und?«, sagte die Frau neben ihm.
    Weintraub breitete die Arme zu einer Geste aus, die alle am Tisch einschloss. »Unter uns repräsentieren wir Inseln der Zeit und darüber hinaus unterschiedliche Ozeane der Wahrnehmung. Oder, besser ausgedrückt, jeder von uns könnte ein Teil des Puzzles besitzen, das niemand lösen konnte, seit die Menschheit zum ersten Mal auf Hyperion gelandet ist.«
Er kratzte sich an der Nase. »Es ist ein Geheimnis, und, um ehrlich zu sein, mir machen Geheimnisse Spaß, auch wenn es vielleicht meine allerletzte Woche ist, sie zu genießen. Ein Hauch des Begreifens würde mich freuen, aber wenn das nicht möglich ist, finde ich es ausreichend, an dem Puzzle zu arbeiten.«
    »Dem stimme ich zu«, sagte Het Masteen emotionslos. »Ich wäre nie darauf gekommen, sehe aber ein, dass es weise sein könnte, uns unsere Geschichten zu erzählen, ehe wir dem Shrike gegenübertreten.«
    »Und was könnte uns daran hindern zu lügen?«, fragte
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