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Die Hurenkönigin (German Edition)

Die Hurenkönigin (German Edition)

Titel: Die Hurenkönigin (German Edition)
Autoren: Ursula Neeb
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ein, die ein Jahr zuvor von einem wahnsinnigen Mörder, der sich für König Tod hielt, erwürgt worden war. Die grausamen Morde, die dank Katharina Bacher, der Tochter des städtischen Totengräbers, aufgeklärt werden konnten, hatten damals in Frankfurt und im ganzen Land für großen Aufruhr gesorgt. Danach hatte die Zimmerin noch eine ganze Zeitlang jeden Freier misstrauisch beäugt, ob nicht auch in ihm eine mörderische Bestie lauerte.
    In solche Gedanken versunken, erreichte sie an Bernhards Seite schließlich die St.-Leonhard-Kirche, durch deren geöffnetes Portal die Gläubigen strömten.
    Die Hurenkönigin trat ein, bekreuzigte sich und nahm Aufstellung vor den letzten zwei Bänken am Ende des Kirchenschiffs, die den städtischen Hübscherinnen als sogenannte »Hurenbänke« vorbehalten waren. Bernhard von Wanebach und die Bediensteten des Frauenhauses ließen sich in den Bänken weiter vorne nieder. Nachdem die Huren sich gesetzt hatten, nahm die Zimmerin ihren Platz am Ende der Reihe ein.
    Nach den Eingangsgebeten und Gesängen betrat Pfarrer Simon Roddach die Kanzel. Schweigend maß er seine Kirchengemeinde mit einem so unheilvollen Blick, als stünde das Ende der Welt bevor – wobei die Hurenkönigin den Eindruck gewann, dass er auf den Hübscherinnen besonders lange verweilte. Endlich hob er mit Grabesstimme an zu sprechen.
    »Liebe Brüder und Schwestern, eine schreckliche Heimsuchung hat unsere Heimatstadt ereilt: Monstrosus morbus – die Geschlechtspest – hält Einzug in Frankfurt! In der Badestube am Knäbleinsborn sind bereits zwei Bademägde erkrankt, und womöglich haben sich auch schon etliche Männer bei ihnen angesteckt. Es sind die schandbaren Frauen, die das Unglück über uns bringen!«
    Ein bestürztes Raunen ging durch das Kirchenschiff, auf den Gesichtern der Gläubigen spiegelte sich Entsetzen. Auch die Hurenkönigin war wie vom Donner gerührt. Sie hatte schon von dieser Seuche gehört, die angeblich durch den Liebesakt übertragen wurde und die viele Menschen mehr fürchteten als den Aussatz oder den Schwarzen Tod. Fahrende Flugblatthändler hatten auf dem Römerberg berichtet, man mutmaße, Seeleute hätten die bislang unbekannte Krankheit aus der Neuen Welt eingeschleppt, denn sie trete vor allem in den großen Hafenstädten auf. Dort hatte die Lustseuche auch bereits die ersten Todesopfer gefordert.
    Schon damals hatte ihr bei diesen Nachrichten der Atem gestockt. Sie mochte sich gar nicht ausmalen, was diese scheußliche Erkrankung in ihrem Gewerbe anrichten konnte, und daher hatte sie den Gedanken daran wieder verdrängt. Und jetzt stand das Übel schon vor der Haustür!
    »Heilige Muttergottes, steh uns bei«, murmelte die Zimmerin und bekreuzigte sich. Auch unter den Huren herrschte Bestürzung. Immer mehr Gemeindemitglieder wandten sich zur Hurenbank um und durchbohrten die Huren geradezu mit ihren Blicken. Angst, aber auch blanker Hass spiegelte sich in ihren Augen. Ursel sträubten sich angesichts der Feindseligkeit sämtliche Nackenhaare.
    Der Pfarrer indes, dem es ohnehin ein Dorn im Auge war, dass das Frauenhaus zu seinem Sprengel gehörte und die Huren das Recht hatten, in der St.-Leonhard-Kirche den Gottesdienst zu besuchen und die Beichte abzulegen, mühte sich nach Kräften, noch Öl in die Flammen zu gießen. »Mit dieser abscheulichen Lustseuche straft der Herrgott alle Frevler, die ungezügelt der Fleischeslust frönen!«, wetterte er mit sich überschlagender Stimme. »Wer in diesen schlimmen Zeiten seinen Trieb nicht zügeln kann und sich weiterhin mit wohlfeilen Metzen abgibt, der wird zum Mörder seiner ganzen Sippe!«
    Die Hurenkönigin, die sonst so leicht nichts erschüttern konnte, war von den Hasstiraden wie vor den Kopf gestoßen. Auch die Gildeschwestern starrten fassungslos vor sich hin.
    Pfarrer Roddach war bei seiner Predigt so in Rage geraten, dass ihm der Schweiß von der Stirn strömte. Er nestelte unter den Falten seines Priestergewandes ein weißes Tuch hervor und wischte sich damit übers Gesicht. Dann schlug er den Folianten auf, der vor ihm auf dem Pult lag, und verkündete mit sonorer Stimme: »Meine lieben Brüder und Schwestern, und so möchte ich euch heute eine Passage aus der Offenbarung des Johannes vorlesen. Sie möge euch allen ein Trost, aber auch eine Warnung sein.«
    Er legte eine Pause ein und bedachte die gelbgewandeten Frauen im Hintergrund des Kirchenschiffs mit einem vernichtenden Blick. Drückende Stille breitete sich
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