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Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers
Autoren: Tatjana Stöckler
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hatte sie alles erzählt, was sie an Überlieferungen des fahrenden Volkes kannte.
    »Wir sollten Mitleid mit ihnen haben«, sagte sie leise.
    Lukas‘ Blick streifte ihren Leib, der sich unter dem dünnen Nachthemd vorwölbte. Die Härte verschwand aus seinem Gesicht, nach kurzer Verwirrung lächelte er sie an. »Sicher, Liebes. Verzeih mir, dass ich gedankenlos das Geschwätz der groben Kerle nachplappere. Ich bewundere Frau Mechthild, die sich eine solche Last aufbürdet. Wir alle müssen ihr dankbar sein für die Opfer, die sie bringt.«
    »Wohltätigkeit ist Tradition in Marburg«, pflichtete Magdalene ihm bei und schob Luzia in seine Arme. »Viele Damen der Gesellschaft ahmen das Beispiel der Heiligen Elisabeth nach, die sich damals um die Aussätzigen kümmerte.«
    »Heute kümmern sich die Henker darum«, ergänzte Trine spitz. Luzia erschrak.
    »Gibt es denn ein Leprosorium in Marburg?«
    Mit einem rauen Lachen fasste Lukas seine Frau am Arm und führte sie zurück ins Schlafzimmer. »Du solltest dich nicht sorgen. Im Elisabeth-Hospital werden keine Ansteckenden aufgenommen. Deshalb erwähnt Trine den Henker, der weist solche aus der Stadt. Und morgen früh werde ich persönlich der Apothekerin meine Aufwartung machen und mich erkundigen, ob wir mit dergleichen Störungen öfter zu rechnen haben.«
    »Früh?«, spöttelte Luzia, obgleich ihr gar nicht nach Lachen zumute war. Hier, auf den Ländereien seiner Vorfahren, kehrte Lukas für ihren Geschmack zu oft den Gutsherren heraus. Manchmal suchte sie vergebens den Freidenker in ihm, der furchtlos gegen die Obrigkeit eintrat.
    Er lächelte fast wieder sein Jungenlächeln. »Früh für mich. Liebes, ich muss in drei Tagen das Horoskop für den Landgraf fertiggestellt haben und das Wetter schiebt mir Wolken vor die Planeten. Verzeih mir, dass ich dich allein im Kalten liegen lasse. Wie gerne würde ich …«
    Ja, sicher, Luzia auch. Sie sehnte sich nach seinen kundigen Händen auf ihrem Leib, seine Lippen an ihren Brüsten und der Erfüllung, die er ihr zu bringen vermochte. Schon sein Anblick ließ ihren Schoß prickeln. »Kümmere dich nicht um mich. Es geht mir gut und Trine bringt mir jeden Abend eine Wärmflasche.«
    »Und das bedeutet genügend Ersatz?« Seine Lippen hauchten einen Kuss auf ihren Mund, dann drehte er sich herum und schloss leise die Tür hinter sich. Luzia seufzte. In den Sommernächten hatte sie gerne bei ihm auf dem Turm gesessen, das Ticken des mächtigen Uhrwerks unter ihrem Sitzplatz gefühlt, sich die Sterne zeigen lassen, den Lauf der Planeten bestimmt und die Konstellationen gesucht, aber der Winter nahte und sie schlotterte dort oben vor Kälte, die ihr in den Rücken kroch und das Kreuz zerriss. Lukas tat recht daran, ihr diese nächtlichen Eskapaden zu verbieten.
    ---
    Eine winzige Hand kitzelte die Innenseite von Elßes Bauch, ein Fuß trat kräftig aus. Mit einem Lächeln strich sie über ihre Schürze. Ein Sohn, mit Sicherheit. Wenn er jetzt schon so kräftig boxte, würde er ihr später die größte Freude bereiten.
    »Arbeite, du Hure!«, schreckte sie die barsche Stimme der Apothekerin aus ihren Gedanken. Eilends beugte Elße sich wieder über die Stufen und schrubbte den Steinboden, bis die Seife schäumte. Die Herrin schürzte die Röcke und stolzierte an ihr vorbei, während sie rechts und links Beleidigungen austeilte. Lieber das als wieder Schläge, durchzuckte der Gedanke Elßes Kopf. Woher nur nahm diese Hexe das Recht, Elße eine Hure zu schimpfen? Sie rief sich zum Trost die Worte ihrer Mutter ins Gedächtnis: Er hat dir Gewalt angetan, aber Gott gab dir dafür das Geschenk eines neuen Lebens.
    Doch der Marodeur war nicht die einzige Heimsuchung für Elße geblieben. Der plötzliche Tod ihrer Mutter hatte sie zum Spielball des Vetters gemacht, der sie aus dem Haus trieb. Die ersten Wochen konnte sie sich wenigstens noch als Schankmagd verdingen, doch nun, kurz vor der Niederkunft, blieb ihr nur Frau Mechthilds Zuflucht, in der sie ständig als Hure bezeichnet wurde. Nirgendwo sonst hatte sie so hart für so schlechtes Essen arbeiten müssen.
    Diesmal ignorierte sie die Bewegungen ihres Kindes und kratzte hektisch mit einem Stöckchen über die Fuge, um auch den letzten Krümel Moos von der Eingangstreppe zu entfernen. Perfekt. Nicht ein Sandkorn würden die misstrauischen Augen der Apothekerin entdecken. Auf die Arme gestützt richtete sie sich auf, schüttete den Rest der Seifenlauge über die Stufen und
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